Vielleicht hast Du es verpasst, aber Du befindest Dich nicht in einem Dialog. Deine Ansichten sind nebensächlich. Argumentiere so viel du willst – Deine Gegner sind froh, wenn Du Deinen Atem verschwendest. Noch besser ist es, wenn Du protestierst: Ihnen ist es lieber, Du trägst ein Schild, als dass Du wirklich etwas tust. Sie werden Dich am Reden halten, solange sie können, nur um Dich müde zu machen – um Zeit zu schinden.
Es ist Ihre Absicht Dir Ihre Agenda auf zu zwingen. Dafür sind all die Waffen, die Polizei, die Drohnen und die Überwachungskameras. Dafür sind das FBI, die CIA und der NSA und dafür sind all die Gesetzte und Verfügungen des Präsidenten da. Es ist, wofür ihre Kirche da ist und all die rassistischen Memes, online Schikane und Mobbing. Daher die Aggressionen gegen Homosexuelle und die Ketzerverbrennungen.
Dies ist kein Dialog. Wie konntest Du so naiv sein? Ein Dialog – von dem einige Teilnehmer*innen gewaltsam entfernt werden können? Ein Dialog – in dem eine Seite immer wieder die andere erschießt und inhaftiert? Ein Dialog – in dem alle Netzwerke, Radiostationen und Druckerpressen einigen wenigen gehören während der Rest mit Markern und Pappe auskommen muss? Das ist ein Dialog, wirklich? Du befindest Dich nicht in einem Dialog. Du befindest Dich in einem Machtkampf. Es kommt nur darauf an, wie viel Kraft Du gegen Deine Gegner aufbringen kannst, um Dich gegen sie zu verteidigen. Solltest Du erfolgreich sein, werden sie Dich beschuldigen den Dialog abgebrochen zu haben und ihre Redefreiheit zu verletzen – darauf kannst du wetten. Sie werden versuchen Dich wieder zurück in die Konversation zu locken und spielen auf Zeit bis sie keine Tricks mehr brauchen um Dich passiv zu halten während sie eine Tyrannei aufbauen.
Die ist kein Dialog – es ist ein Krieg. Sie spekulieren darauf, dass du es nicht realisierst, bis es zu spät ist. Wenn Freiheit dir wichtig ist, wenn Dir all die Menschen, auf die Tod oder Abschiebung warten, nicht egal sind dann tu etwas.
Der folgende Text ist eine aktualisierte Version eines Artikels aus der neunten Ausgabe von Rolling Thunder. Es gibt einen Flyer zum verteilen auf Demos, den Free Spech FAQ.
Nicht nur Redefreiheit, sondern Freiheit
Anarchist*innen haben Redefreiheit über Jahrhunderte verteidigt. Das ist prinzipiell wichtig: in der anarchistischen Vision der Gesellschaft sollte weder der Staat noch irgendeine andere Institution in der Lage sein zu bestimmen, was wir sagen dürfen und was nicht. Es ist außerdem wichtig in der Praxis: als eine revolutionäre Minderheit, welche häufig Ziel von Repression wird, werden unsere Reden, Zeitungen, Internetseiten und Demonstrationen ständig angegriffen.
Aber wir sind nicht die einzigen, die das Banner der Redefreiheit hochhalten. In letzter Zeit hat die Rechte in den USA angefangen zu behaupten, dass ein angeblicher Misserfolg konservativen Ansichten neben liberalen Ansichten gleich viel Aufmerksamkeit zu widmen eine Unterdrückung ihrer Redefreiheit bedeutet.
Indem sie »liberale« Universitäten und Medien vorwerfen, konservative Ansichten zu unterdrücken – eine lächerliche Anschuldigung angesichts der massiven Machtstrukturen und Finanzierungen welche diese Ansichten verbreiten – benutzen sie eine Diskussion über den ersten Verfassungszusatz1, um reaktionäre Vorstellungen zu fördern. Angeblich progressive Unis zeigen ihr wahres Gesicht, wenn sie institutionelle Mächte mobilisieren um Rechten auf dem Markt(platz) der Ideen Raum zu geben und gehen sogar so weit deren Gegner zu zensieren und einzuschüchtern.
Auch extrem rechte und faschistische Organisationen sind Trittbrettfahrer auf dem Wagen der Redefreiheit. FaschistInnen vertrauen darauf, dass der Staat sie beschützt, und behaupten rassistische und homophobe Organisationen stellen eine legal geschützte Form der freien Meinungsäußerung dar. In den meisten anderen industrialisierten Ländern der Welt gibt es Gesetze, die es faschistischen Gruppen verbieten, Hassreden zu veröffentlichen; häufig veröffentlichen diese Gruppen in den USA – die keine solchen Gesetze haben – und verbreiten es weltweit. In der Praxis hilft die staatlich geschützte Redefreiheit den FaschistInnen, sich zu organisieren.
Falls das Verteidigen der Redefreiheit angefangen hat zu bedeuten, dass reiche rechte Politiker*innen unterstützt werden und FaschistInnen einfacher Mitstreiter*innen anwerben können; ist es an der Zeit zu hinterfragen, was sich hinter diesem Prinzip versteckt.
Trotz der radikalen Wurzeln von Organisation, wie der American Civil Liberties Union, welche den staatlichen Schutz der Redefreiheit unterstützen, entleert diese Form der bürgerlicher Freiheit die Verteidigung von Redefreiheit von jeglichem radikalem Inhalt. Sie tut dies indem sie andeutet, dass nur der Staat dazu in der Lage ist unsere Fähigkeit uns frei auszudrücken, zu garantieren. Damit wird die Macht des Staates gestärkt und höher gesetzt als das Recht auf Redefreiheit selbst.
Die Rhetorik der freien Meinungsäußerung
Im politischen Spektrum der USA scheint es einen breiten Konsens für die Redefreiheit zu geben. Während Gegner sich uneinig über die Grenzen sein mögen, beispielsweise was genau Obszönität ausmacht, sind sich Experten von links bis rechts einig, dass Redefreiheit unentbehrlich für die amerikanische Demokratie ist.
Verweise auf diese Tradition der uneingeschränkten freien Meinungsäußerung verleihen Gruppen mit Ansichten jenseits des Mainstream Legitimität. Sowohl FaschistInnen als auch Radikale profitieren davon. Anwälte verteidigen anarchistische Aktivitäten oft mit dem Verweis auf den ersten Verfassungszusatz, der den Gesetzgeber daran hindert, die Pressefreiheit oder das Recht auf friedliche Versammlung einzuschränken.
Wenn es um die freie Meinungsäußerung geht, finden wir Verbündete unter denen, die uns niemals wegen unseren Visionen der direkten Aktionen für einer hierarchiefreien Welt unterstützen würden. Die Rhetorik der freien Rede und der Rechte aus dem ersten Verfassungszusatz gibt uns eine gemeinsame Sprache mit der wir unsere Reichweite vergrößern können. Es macht unseren Widerstand nachvollziehbarer für potentielle Verbündete mit denen wir mit der Zeit eine tiefere Verbindung aufbauen können. Aber um welchen Preis? Diese Diskussion um Rechte scheint zu implizieren, dass der Staat notwendig ist, um uns vor ihm selbst zu schützen, als habe er eine Art gespaltene Persönlichkeit wie Dr Jekyll und Mr Hyde; er greift uns einerseits an mit Gesetzen, Polizei und Staatsanwälten, während er uns beschützt mit Gesetzen, Anwält*innen und Richtern. Wenn wir diese Metapher zulassen, ist es nicht überraschend, dass der Arm, der uns angreift, im selben Maße stärker wird, wie wir den Arm stärken, der uns beschützt. Wenn Freiheit einmal als Sortiment an Rechten definiert ist, die der Staat uns gewährt, ist es leicht die echte Freiheit aus den Augen zu verlieren die durch diese Rechte beschützt werden soll, und sich stattdessen auf die Rechte selbst zu fokussieren. Das führt zu einer bedingungslosen Akzeptanz der Legitimität des Staats. Folglich unterhöhlen wir die Möglichkeit selbst in der Lage zu sein uns gegen den Staat zu verteidigen, wenn wir Sichtbarkeit und Unterstützung aufbauen indem wir die Rhetorik der Rechte nutzen. Außerdem öffnen wir dem Staat die Tür, uns die »Rechte« von Anderen aufzuerlegen.
Verteidigung der bürgerlichen Rechte
In den USA sehen es die meisten als selbstverständlich an, dass es in Ländern, in denen die Redefreiheit nicht gesetzlich geschützt ist, für den Staat einfacher ist, radikale Gruppen zu isolieren und zum Schweigen zu bringen. Wer wäre dann nicht für den gesetzlichen Schutz der freien Meinungsäußerung?
Tatsächlich sind in solchen Ländern die Oppositionellen nicht immer isolierter – im Gegenteil, der Durchschnittsbürger empfindet manchmal mehr Sympathie für die Opposition, weil es dem Staat schwerer fällt sich als Verteidiger der Freiheit darzustellen. Gesetze binden dem Staat nicht annähernd so wirksam die Hände wie öffentlicher Widerstand. Angesichts der Wahl zwischen gesetzlich gesicherten Rechten und Unterstützung aus der Bevölkerung sind wir um einiges besser dran mit Letzterem.
Das Oxford Wörterbuch definiert bürgerliche Freiheit als »nur den Gesetzen zu unterliegen, die zum Wohle der Gemeinschaft erlassen wurden«. Für die, die glauben, dass Gesetze, die von einer hierarchischen Macht erlassen wurden, dem »Wohl der Gemeinschaft« dienen können, klingt das ideal – aber wer definiert »die Gemeinschaft« und ihr Wohl, wenn nicht die Herrschenden? In der Praxis ermöglicht die Diskussion um bürgerliche Freiheit es dem Staat, seine Gegner*innen ins Abseits zu stellen: wenn es einen legitimen Kanal für jede Ausdrucksform gibt, dann sind die, die sich nicht an die Förmlichkeiten halten nicht legitim. Dementsprechend können wir diese Definition andersherum lesen: unter »bürgerlicher Freiheit« sind alle Gesetzte für das Wohl der Gemeinschaft und wer sie infrage stellt muss dagegen sein. Wenn wir uns auf die Redefreiheit konzentrieren, sehen wir nur zwei Protagonisten: die Einzelperson und den Staat. Anstatt uns in eine Debatte darüber hineinziehen zu lassen, was der Staat uns erlauben sollte und was nicht, sollten Anarchist*innen sich auf einen dritten Protagonisten konzentrieren – die Öffentlichkeit. Wir gewinnen oder verlieren unseren Kampf, abhängig davon wie viel Souveränität die Bevölkerung bereit ist sich vom Staat zurück zu holen und wie viele Eingriffe sie sich gefallen lässt. Wenn wir also überhaupt über Rechte sprechen müssen, lasst uns nicht rufen: »wir haben ein Recht auf Redefreiheit«, sondern feststellen, dass der Staat kein Recht hat uns zu unterdrücken. Oder noch besser: lasst uns eine komplett neue Sprache entwickeln.
Redefreiheit und Demokratie…
Die Diskussion um die freie Rede in der Demokratie setzt eine gleiche Verteilung der Macht voraus, und dass der Hauptweg zu Veränderung immer über eine rationale Diskussion geht. Tatsächlich aber kontrolliert eine kapitalistische Elite die meisten Mittel, und die Macht kristallisiert sich immer weiter nach oben, entlang verschiedener Unterdrückungsmechanismen. Gegen diese Ordnung braucht es einiges mehr als durch Reden erreicht werden kann, um einen sozialen Wandel möglich zu machen. Echte freie Rede kann es nur unter Gleichgestellten geben – zwischen Parteien, die nicht nur vor dem Gesetz gleich sind, sondern auch vergleichbaren Zugang zu allen Mitteln haben und ein gleiches Mitspracherecht. Kann von einer Angestellten wirklich behauptet werden, dass sie ihre Meinung so frei äußern kann wie ihr Arbeitgeber, wenn letzterer ihr ihre Lebensgrundlage wegnehmen kann? Steht es zwei Menschen wirklich gleichermaßen frei ihre Meinung zu äußern, wenn eine davon einen Nachrichtensender besitzt und sich der andere nicht einmal leisten kann Flyer zu kopieren? In den USA, wo Spenden an politische Kandidaten legale Meinungsäußerung darstellt, bedeutet das je mehr Geld du hast desto mehr »Meinungsäußerung« kannst du ausüben. Wie der Slogan sagt: Freiheit gibt’s nicht geschenkt – und nirgends wird dies klarer als bei der Redefreiheit. Ideen haben keine intrinsische Kraft, auch wenn die Propaganda der Demokratie uns das gerne glauben machen möchte. Unsere Fähigkeit, nach unseren Überzeugungen zu handeln, nicht nur sie auszudrücken, bestimmt wie viel Macht wir haben. In diesem Sinne ist das Bild vom »Markt(platz) der Ideen« erstaunlich gut geeignet: Du brauchst Kapital um mit zuspielen, und je mehr du davon hast, desto eher kannst Du die Ideen verwirklichen, in die du investierst. Ebenso wie der Erfolg einiger Unternehmer und Superstars aufgezeigt wird um zu beweisen, dass der freie Markt harte Arbeit und Einfallsreichtum belohnt, suggeriert der Mythos vom »Markt(platz) der Ideen«, dass das kapitalistische System bestehen bleibt, weil jede*r – Tellerwäscherin und Millionär gleichermaßen – es für die beste Idee halten.
…wenn Du nur nichts tust
Was aber, wenn trotz des verzerrten Spielfeldes, es einigen gelingt, Themen Gehör zu verschaffen, die drohen die bestehende Machtverteilung zu destabilisieren? Wie die Geschichte lehrt, ist die Redefreiheit dann doch nicht ganz so heilig. In der Praxis dürfen wir alles sagen, solange es nichts verändert. Die Annahme, dass nur reden nie Schaden anrichten kann, impliziert, dass das Reden unwirksam ist: damit ist alles, was wirksam wäre, nicht Teil der bürgerlichen Rechte. Im ersten Weltkrieg wurde jeder Versuch, »Ungehorsam, Iloyalität, Meuterei [oder] Dienstverweigerung« zu verursachen, oder die Werbung für die Armee zu behindern, durch den »Espionage Act« unter Strafe gestellt. Präsident Woodrow Wilson hat diesen Gesetzesentwurf durchgepeitscht, weil er glaubte, die Aktivitäten der Kriegsgegner*innen würden die Kriegsanstrengungen der USA untergraben. Alexander Berkman und Emma Goldman wurden gemäß dieses Gesetzes für das drucken von anarchistischer Literatur, die sich gegen den Krieg aussprach, inhaftiert. Gleichermaßen gab es noch den Anarchist Exclusion Act und den folgenden Immigration Act, mit deren Hilfe jede*r Immigrant*in, der*die »gegen jede organisierte Regierung ist oder nicht an sie glaubt«, ausgewiesen oder an der Einreise gehindert wurde. Berkman, Goldman und hunderte andere Anarchist*innen wurden aufgrund dieses Gesetzes ausgewiesen. Es gibt noch unzählige weitere Beispiele, die zeigen, dass auch die demokratischste Regierung nicht vor der Unterdrückung der Redefreiheit zurückschreckt, wenn diese die Grundlagen der staatlichen Macht bedroht. Wenn also der Staat sich als Verteidiger der freien Rede präsentiert, können wir sicher sein, dass unsere Machthaber*innen glauben, dass die Zulassung von Kritik ihre Position eher stärken wird, als die Unterdrückung dieser. Thomas Emerson, liberaler Philosoph und Mitglied der ACLU2 erkannte, dass die Redefreiheit »als eine Art Sicherheitsventil dienen kann, um Dampf abzulassen, wenn die Leute andernfalls auf Revolution aus sein könnten.« Hier liegt der wahre Grund für das Recht auf freie Meinungsäußerung in den USA.
Nicht nur Redefreiheit, sondern Freiheit
Natürlich, sollten Anarchist*innen sich nicht gegen die freie Rede organisieren.
Der Würgegriff des Staates, um die Debatte über Redefreiheit scheint allerdings den Ton anzugeben: Entweder wir dulden Zensur; oder wir dulden, dass der Staat unsere Feinde schützt, und ihr Recht sich gegen uns und andere zu organisieren. Das führt zu paradoxen Situationen, wenn zum Beispiel Aktivist*innen beschuldigt werden, gegen die Freiheit zu sein, wenn sie einen faschistischen Redner vom Reden abhalten.
Im Kontrast zu staatlich geschützten Kundgebungen des Ku Klux Klan und dergleichen, gibt es Modelle der freien Meinungsäußerung, die weder von den von oben durchgesetzten Rechten abhängig sind, noch unterdrückendes Verhalten billigen. Anarchist*innen betrachten die Sprache nicht als etwas grundlegend anderes als die Aktion, sondern eher als eine Form der Aktion: wenn sie andere verletzt, wenn sie Hierarchien und Ungerechtigkeiten verstärkt, werden wir in der gleichen Art und Weise dagegen vorgehen wie gegen andere Formen von Missbrauch und Unterdrückung. Das ist einfach nur Selbstverteidigung. Wenn ein rassistischer Politiker in einer öffentlichen Universität eine Rede hält, wird sein Honorar von Steuergeldern bezahlt, die der ArbeiterInnenschaft abgenommen werden und an Universitäten verteilt werden, damit das Geld weiterhin unter den Reichen und Mächtigen kreist. Obwohl die Rechten jammern, dass konservativen Ansichten nicht genug Raum gelassen wird; die Tatsache, dass er genug Macht hat, sich gut bezahlte Redeaufträge zu beschaffen, zeigt, dass seine Ansichten wohl kaum unterdrückt werden.
Als ein reicher weißer Bürger und Person des öffentlichen Lebens, können seine Möglichkeiten seine Meinung auszudrücken nicht halbwegs mit den Möglichkeiten, von beispielsweise den Geflüchteten, die er zum Sündenbock macht, verglichen werden. Falls ihre Stimmen und Handlungsfähigkeiten wirklich gleich wären, könnte der Politiker sagen, was er will, aber er hätte nicht die Macht, andere seinen Vorhaben zu unterwerfen.
Wenn wir ihn direkt konfrontieren, statt nur höflich zu widersprechen, ist das kein Angriff auf sein Recht, seine Meinung zu äußern.
Wir konfrontieren damit die besonderen Vorteile die ihm eingeräumt werden: Steuergelder, Polizeischutz, eine exklusive Tribüne. Wir stellen uns gegen die Macht über unser Leben, die ihm von Institutionen verliehen wird die auf Gewalt aufgebaut sind; eine Macht, die er ausbauen will, indem er Gelegenheiten ergreift, Reden zu halten, um damit Reichtum zu erwerben, seinen Ansichten Legitimität zu verleihen und neue Anhänger*innen für seine rassistischen Unternehmungen anzuwerben. Sich gegen ihn zu stellen ist eine politische Praxis, die unsere Freiheit nicht auf »Rechte« reduziert, sondern die Vorrechte des Staates herausfordert (der keine falsche Unterscheidung macht zwischen Rede und Tat, sondern beide nach denselben Maßstäben richtet). Diese politische Praxis macht es dem Staat unmöglich, sich als Verteidiger der Redefreiheit darzustellen, sondern stellt klar, dass wir die einzigen sind, die unsere Freiheit verteidigen und ausbauen können.
Weniger Bürgerlichkeit, mehr Freiheit!
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Anhang: FAQs zur freien Meinungsäußerung
Wer Faschist*innen nicht reden läßt, ist genauso schlimm wie sie
Genauso gut kannst Du sagen, wer sie nicht am Reden hindert, ist schlimm wie sie, denn das gibt ihnen die Gelegenheit, sich zu organisieren um uns allen ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Wenn Dir Freiheit etwas wert ist, steh nicht dumm daneben, wenn andere mobil machen um sie uns wegzunehmen.
Sollten wir sie nicht einfach ignorieren? Sie wollen Aufmerksamkeit, und wenn wir sie ihnen geben, haben sie schon gewonnen.
Nein, die Faschist*innen wollen nicht die Aufmerksamkeit auf ihre Organisation ziehen: das meiste machen sie schön im Geheimen, aus Furcht, die aufgebrachte Öffentlichkeit könnte sie zum Schweigen bringen. Sie organisieren öffentliche Veranstaltungen nur, um potentiellen Mitstreiter*innen ihre Stärke zu zeigen, und als Versuch, ihre Ansichten als legitimen Teil des politischen Spektrums einzuführen. Wenn wir uns ihnen offen entgegenstellen, machen wir ihnen – und wichtiger noch, allen, die sich ihnen vielleicht anschließen möchten – klar, dass sie die Macht nicht kampflos erreichen werden. Faschist*innen zu ignorieren erlaubt ihnen nur, sich ungehindert zu organisieren; und ein Blick in die Geschichte zeigt uns, dass das ziemlich gefährlich sein kann. Besser wir ziehen gleich den Stecker.
Am Besten lässt mensch sie einfach reden, damit alle selbst hören können, was für dummes Geschwätz sie absondern. Wir können sie wirkungsvoller mit Ideen als mit Gewalt schlagen.
Menschen werden nicht zu Faschist*innen, weil sie von faschistischen Ideen überzeugt sind, sondern aus demselben Grund, aus dem andere zur Polizei gehen oder in die Politik: sie möchten Macht über andere ausüben. Wir müssen ihnen zeigen, dass Mitglieder faschistischer Organisationen keine Macht erlangen, sondern eher öffentlich lächerlich gemacht werden. Nur so können potentielle Mitstreiter*innen abgeschreckt werden.
Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Faschismus nicht von Ideen überwunden werden kann, sondern nur durch die Selbstverteidigung der Massen. Wenn alle Ideen öffentlich diskutiert werden, so erzählen sie uns, wird die beste gewinnen; leider wird dabei die ungleiche Verteilung der Mittel übersehen. Faschist*innen können den Privilegierten und Mächtigen sehr nützlich sein, daher bekommen sie oft üppige Spenden; wenn sie sich mehr Sendezeiten und öffentliche Sichtbarkeit kaufen können, wären wir schön blöd, uns mit ihnen nur auf diesem Feld zu messen. Wir können ewig mit ihnen diskutieren; das ist alles verschwendete Zeit, wenn wir nicht verhindern, dass ihre Ideologie unsere Politik bestimmt.
Neo-Nazis sind unwichtig, heute ist der institutionalisierte Rassismus die echte Gefahr, nicht der rechte Rand.
Heute zeigt sich der meiste Rassismus in fast unmerklichen, alltäglichen Formen. Aber die Sichtbarkeit des Faschismus ermöglicht es anderen rechten Gruppen, sich selbst als gemäßigt darzustellen und damit für ihre unterschwellig rassistischen Ansichten sowie die als notwendig angesehene ungleiche Verteilung von Macht und Privilegien zu werben. Wenn wir den Rassismus in unserer Gesellschaft an der Wurzel packen wollen, müssen wir uns gegen die Faschist*innen stellen – Tag für Tag.
Immer noch terrorisieren und ermorden Faschist*innen auf der ganzen Welt Menschen, die eine andere Hautfarbe, Religion oder Sexualität haben. Es ist respektlos gegenüber ihren Opfern und gleichzeitig naiv, die faschistische Gewalt in Gegenwart und Vergangenheit zu verharmlosen. Faschist*innen nutzen lieber direkte Aktionen, als sich auf den langen Weg durch die Institutionen der parlamentarischen Demokratie zu arbeiten, deshalb sind sie auch in kleinerer Zahl gefährlich. Und deshalb müssen wir uns immer schnell und direkt mit ihnen befassen.
Redefreiheit bedeutet, dass alle Meinungen geäußert werden dürfen, auch solche, die von Deiner abweichen. Es würde Dir auch nicht gefallen, wenn mensch Dir den Mund verbietet, weil Du mit Deinen Ansichten gegen den Strom schwimmst.
Wir stellen uns gegen Faschist*innen wegen ihrer Taten, nicht wegen ihrer Worte. Wir sind nicht gegen Redefreiheit, sondern gegen eine Propaganda von Terror und Hass. Wir haben nicht die Macht, sie zu zensieren; dank der »Neutralität« des kapitalistischen Marktes werden sie weiterhin ihren Hass im Internet veröffentlichen und drucken lassen. Aber wir werden sie, wo wir nur können, aus unseren Communities raus schmeißen, damit sie nicht die Macht ansammeln um ihren Hass auszuleben.
Regierung und Polizei haben niemals die Redefreiheit aller in gleicher Art und Weise beschützt, und sie werden es auch niemals tun. Es ist in ihrem eigenen Interesse, Ansichten zu unterdrücken und Aktionen zu verhindern, wenn sie sich gegen die derzeitige ungleiche Verteilung der Macht wenden. Sie geben jede Menge Steuergelder aus, um mit Bereitschaftspolizei, Hubschraubern und Scharfschützen eine Demonstration des Ku Klux Klans zu schützen; sind die Anarchist*innen auf der Straße, kommen dieselben Polizisten, um die Demonstration aufzulösen. Anarchist*innen mögen keinen staatlichen Maulkorb, aber wir wollen uns auch nicht vom Staat unsere Freiheit vorschreiben und gestalten lassen. Die ACLU verteidigt die Freiheit, indem sie den Ku Klux Klan und Ähnliches unterstützt; wir unterstützen als erstes Selbstverteidigung und Selbstbestimmung. Soll nicht die freie Meinungsäußerung schließlich zu einer Welt ohne Unterdrückung führen? Faschist*innen stemmen sich gegen eine solche Vision, deshalb stemmen wir uns gegen Faschist*innen, wo und wie immer nötig.
Wenn wir den Faschist*innen die Möglichkeit nehmen, ihre Ansichten friedlich zu verbreiten, greifen sie zu Gewalt.
Die friedliche Verbreitung ihrer Ansichten dient Faschist*innen nur dazu, gewalttätige Aktionen vorzubereiten. Faschist*innen brauchen einen in der Gesellschaft akzeptablen äußeren Anstrich um ihr Programm durchzusetzen; deshalb öffnet die Türen für körperliche Gewalt gegen Menschen, wer ihnen eine Plattform bietet. Öffentliche Verbreitung von Hass-Ideologie, ob mensch sie schon für sich als Gewalt ansieht oder nicht, geht immer zusammen mit körperlicher Gewalt. Faschist*innen beziehen sich auf Bewegungen und Ideen, die auf Unterdrückung und Völkermord gründen; das zeigt uns ihre Absicht, dieses gewalttätige Erbe anzutreten – aber nur, wenn sie genug Unterstützung bekommen.
Wenn wir versuchen, sie zum Schweigen zu bringen, erhöhen wir nur das Interesse an ihnen.
Widerstand gegen den Faschismus erhöht nicht das Interesse an ihren Ansichten. Wenn überhaupt, dann wird das Interesse an faschistischen Ansichten geweckt von den Liberalen, die die Redefreiheit der Faschist*innen verteidigen und ihnen damit eine Anschein von Rechtmäßigkeit verschaffen. Wenn wir zulassen, dass sie einen Keil in die Front ihrer Gegner treiben, mit der Redefreiheit als Vorwand, spielen wir ihnen direkt in die Hände. Indem sie Rassismus, Homophobie und Antisemitismus dulden, machen sich die Anwält*innen der freien Rede zu Kompliz*innen bei den Gewaltakten, die durch eine Organisation der Faschist*innen möglich werden.
Sie haben dieselben Rechte wie alle anderen.
Keine* hat das Recht, Gewalt gegen unsere Gemeinschaft zu organisieren. Ebenso verweigern wir aber auch der Polizei und der Regierung – die mit den Faschist*innen mehr Gemeinsamkeiten haben als mit uns – das Recht für uns zu entscheiden, wann die Faschist*innen die Linie zwischen freier Meinungsäußerung und unmittelbarer Bedrohung überschritten haben. Wir werden nicht auf unsere Freiheit, selbst zu beurteilen, wann und wie wir uns selbst verteidigen, verzichten.
Ursprünglich erschienen in der Gai Dao #75 (März, 2017), übersetzt von pilun
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First Amendment, 1791 verabschiedet; verbietet dem Kongress, Gesetze zu verabschieden, die die Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit oder das Petitonsrecht einschränken. Außerdem verbietet der Artikel die Einführung einer Staatsreligion und die Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Religionen durch Bundesgesetz. ↩
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American Civil Liberties Union, besteht seit 1920, setzt sich für Bürgerrechte und generell für Anliegen des Liberalismus ein. Vergleichbar mit der Humanistischen Union in Deutschland. ↩