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Eine Sicherheitskultur ist eine Reihe von Angewohnheiten, die von einer Gruppe geteilt wird. Eine Sicherheitskultur ist so entworfen, dass sie für Menschen, die vom Staat verfolgt werden könnten, das Risiko senkt geschnappt zu werden.

Eine Sicherheitskultur zu haben, spart den Aufwand immer wieder bei Null anzufangen um Sicherheitsmaßnahmen auszuarbeiten. Sie kann helfen Paranoia entgegenzuwirken und in stressigen Situationen Panik zu vermeiden und sie kann euch Zeit im Knast ersparen. Der Unterschied zwischen Protokoll und Kultur ist, dass eine Kultur unbewusst und instinktiv wird, und somit irgendwann ohne Mühe umsetzbar ist. Sobald das nach Möglichkeit sicherste Verhalten in den Kreisen, in denen du dich bewegst, Gewohnheit geworden ist, kannst du weniger Zeit und Energie darauf verwenden, seine Wichtigkeit zu betonen, mit den Konsequenzen davon fertig zu werden nicht genug Sicherheitsmaßnahmen ergriffen zu haben oder dir Sorgen darüber zu machen in welcher Gefahr du dich befindest, da du weißt, dass du bereits alles in deiner Macht stehende für deine Sicherheit getan hast. Wenn du es dir angewöhnt hast keine sensiblen Informationen über dich preiszugeben, kannst du mit Fremden zusammenarbeiten, ohne dir Sorgen darüber machen zu müssen, ob sie Informant*innen sind oder nicht; wenn alle wissen, worüber am Telefon nicht gesprochen wird, können eure Feind*innen die Verbindung anzapfen soviel sie wollen, ohne dass es ihnen etwas bringt.

Das Zentrale Prinzip jeder Sicherheitskultur — der Teil, der nie genug betont werden kann — ist, dass keine Person je Informationen bekommt, die er*sie nicht wissen muss.

Je höher die Anzahl der Menschen, die etwas wissen, was andere Leute oder Gruppen gefährden kann — sei diese Info die Identität einer Person, die an einer illegalen Tat teilnimmt, der Ort eines privaten Treffens oder der Plan für eine zukünftige Aktion — desto höher ist das Risiko, dass diese Information in falsche Hände gerät. Solche Informationen mit Leuten zu teilen, die sie nicht wissen müssen, tut ihnen genauso wenig einen Gefallen, wie den Menschen, die dadurch gefährdet werden: es bringt sie in die unangenehme Situation in der Lage zu sein, die Leben anderer Menschen durch einen einzigen Fehler zu versauen. Wenn sie zum Beispiel verhört würden, hätten sie etwas zu verbergen, anstatt sich ehrlich auf Unwissenheit berufen zu können.

Nichts fragen, nichts sagen.

Bitte andere nicht geheime Informationen mit dir zu teilen, wenn sie dich nichts angehen. Gib nicht mit illegalen Dingen an, die du oder andere getan haben und erwähne keine Aktionen, die in der Zukunft passieren können oder werden. Erwähne nicht einmal das Interesse einer Person an solchen Aktivitäten beteiligt zu sein. Sei immer aufmerksam wenn du sprichst und mache keine unbedachten Anspielungen.

Du darfst immer, allen gegenüber zu Allem NEIN sagen.

Beantworte keine Fragen, die du nicht beantworten willst — nicht nur Polizist*innen, sondern auch anderen Aktivist*innen und sogar engen Freund*innen gegenüber: wenn du dich nicht sicher damit fühlst etwas weiterzusagen, lass es. Das bedeutet auch, dass es für dich ok sein muss, wenn andere deine Fragen nicht beantworten möchten, ein Gespräch lieber für sich behalten oder dich bitten, nicht Teil eines Treffens oder Projekts zu sein. Du solltest dies nicht persönlich nehmen — es ist zum Besten von allen, dass sie sich so verhalten können. Ebenso solltest du nie an Projekten teilnehmen, zu denen du kein gutes Gefühl hast oder mit Menschen zusammenarbeiten, mit denen du dich nicht wohlfühlst. Ignoriere niemals dein Bauchgefühl. Falls etwas schief geht und du Schwierigkeiten bekommst, möchtest du deine Entscheidungen lieber nicht bereuen. Es ist deine Verantwortung dich von niemandem dazu überreden zu lassen, ein Risiko einzugehen.

Liefer niemals deine Freund*innen an deine Feind*innen aus!

Wenn du geschnappt wurdest, gib niemals Informationen preis, die irgendwen gefährden könnten. Eine Empfehlung ist, dass alle Mitglieder einer Aktionsgruppe hierzu einen expliziten Schwur schwören. So wissen alle, welche Verpflichtungen sie den anderen gegenüber eingegangen sind, falls der schlimmste Fall eintritt und Druck es schwierig macht, dazwischen zu unterscheiden, wenige ungefährliche Details preiszugeben oder die Gruppe komplett zu verraten.

Macht es euren Feind*innen nicht zu leicht herauszufinden, was ihr vorhabt.

Seid nicht zu berechenbar hinsichtlich der Methoden, die ihr nutzt oder der Ziele, die ihr auswählt oder der Zeit und dem Ort, an denen ihr euch trefft, um Pläne zu diskutieren. Seid nicht zu sichtbar in den öffentlichen Teilen des Kampfes, in dessen Rahmen eure direkten Aktionen stattfinden. Lasst eure Namen nicht auf Mailinglisten oder in den Medien auftauchen und vermeidet gegebenenfalls jeglichen Kontakt zu öffentlichen Organisationen und Kampagnen. Wenn ihr mit einigen Gefährt*innen in wirklich ernsthaften, klandestinen Aktivitäten involviert seid, solltet ihr euch überlegen euren Kontakt in der Öffentlichkeit einzuschränken, oder euch gar ganz aus dem Weg zu gehen. Die Polizei kann leicht Zugang zu den Nummern kriegen, die von deinem Telefon gewählt wurden und solche Listen dazu verwenden Verbindungen zwischen Individuen herzustellen. Das Gleiche gilt für E-mails und alle anderen digitalen Interaktionen, vor allem für Facebook.

Hinterlass keine Spur: Kreditkartennutzung, Handytelefonate, usw. hinterlassen Hinweise auf deine Bewegungen, Käufe und Kontakte. Beschaffe dir ein Alibi, das von nachprüfbaren Fakten gestützt wird, für den Fall dass du eins brauchst. Pass auf, was dein Müll über dich preisgibt — Zecken sind nicht die einzigen, die Containern gehen. Behalte alle belastenden schriftlichen Dokumente und Fotos im Blick. Bewahre sie alle am gleichen Ort auf und zerstöre sie, sobald du sie nicht mehr brauchst. Je weniger es davon im vornherein gibt, desto besser. Gewöhne dir an dein Gedächtnis zu benutzen. Gehe davon aus, dass jede Nutzung deines Telefons und deines Computers eine Spur hinterlässt.

Erwähne keine Ideen für Direkte Aktionen in der Öffentlichkeit, die du vielleicht noch ausprobieren möchtest.

Warte damit eine Idee vorzuschlagen bis du eine Gruppe von Leuten versammelt hast, von denen du erwartest, dass sie Interesse daran haben, sie auszuprobieren. Schlage deine Idee nicht vor, bis du meinst, dass die richtige Zeit gekommen ist, um sie auszuprobieren. Lade nur die Menschen ein, bei denen du dir ziemlich sicher bist, dass sie mitmachen wollen — jede Person, die sich entschließt nicht mitzumachen ist ein unnötiges Sicherheitsrisiko und kann zum Problem werden, falls sich herausstellt, dass er*sie die Idee für lächerlich, dumm oder moralisch verwerflich hält. Weihe nur Menschen ein, die ein Geheimnis für sich behalten können — dies ist wichtig, egal ob sie sich entscheiden mitzumachen oder nicht.

Entwickelt einen privaten Code, um mit euren Gefährt*innen in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Es ist wichtig zu erarbeiten, wie du mit deinen vertrauten Freund*innen in der Öffentlichkeit oder bei Treffen, auf denen Direkte Aktionen besprochen werden, verstohlen über Sicherheitsbedenken und Komfortebenen kommunizieren kannst. Zu wissen, wie ihr eure Gefühle gegenseitig einschätzen könnt, ohne dass andere mitbekommen, dass ihr Nachrichten hin und her schickt, kann euch den Ärger ersparen zu versuchen, die Gedanken der anderen bezüglich einer Person oder Situation zu erraten und euch helfen, seltsames Verhalten zu vermeiden, wenn ihr eure*n Freund*in gerade nicht zur Seite nehmen könnt um Notizen zu vergleichen. In dem Moment, in dem ihr eine größere Gruppe versammelt um einen Aktionsplan vorzuschlagen, sollten du und deine Freund*innen euch darüber klar sein, was die Intentionen, Risikobereitschaften und Meinungen der anderen sind. Dies spart Zeit und reduziert unnötige Unklarheiten. Falls du noch nie Teil eines Planungskreises für direkte Aktionen warst, wird es dich überraschen wie kompliziert und verwickelt Sachen werden können, selbst wenn alle vorbereitet ankommen.

Entwickelt Methoden um das Sicherheitslevel von Gruppen oder Situationen festzulegen.

Ein schnelles Verfahren, dass ihr zu Beginn eines größeren Treffens durchspielen könnt, ist das „bürgen für“-Spiel: während eine Person sich vorstellt heben alle, die für diese Person bürgen können, die Hand. Du solltest nur für diejenigen bürgen, bei denen du dir sicher bist, dass sie dein Vertrauen verdienen. Hoffentlich steht jede Person mit allen anderen, zumindest über Ecken, in Beziehung. So oder so, zumindest wissen nun alle wie die Sache steht. Ein*e Aktivist*in, der*die die Relevanz guter Sicherheitsmaßnahmen versteht, sollte nicht beleidigt sein, falls niemand für ihn*sie bürgt und er*sie gebeten wird zu gehen.

Treffpunkte sind ein wichtiger Sicherheitsfaktor.

Ihr wollt euch nicht an einem Ort treffen, der überwacht werden kann (private Wohnorte), ihr wollt keinen Ort, an dem ihr alle gemeinsam gesehen werden könnt (der Park gegenüber vom Schauplatz eurer nächsten Aktion), ihr wollt keinen Ort an dem ihr beim Kommen und Gehen beobachtet werden könnt, oder an dem andere Personen unerwartet auftauchen können. Platziert Späher*innen, schließt Türen ab, achtet auf Verdächtiges. Kleine Gruppen können spazieren gehen und sich dabei unterhalten; größere Gruppen können sich an abgelegenen Orten treffen — wenn ihr die Zeit dazu habt, könnt ihr Wandern oder Zelten gehen — oder sich in separaten Räumen in öffentlichen Gebäuden, wie in Bibliotheken oder in leeren Klassenzimmern treffen.

Sei dir der Zuverlässigkeit derer bewusst, die dich umgeben, vor allem wenn du mit ihnen bei klandestinen Aktionen zusammenarbeitest.

Mach dir bewusst, wie lange du Menschen kennst, seit wann sie in deine Gemeinschaft oder deinem Freundschaftskreis eingebunden sind, wie weit zurück ihre Leben nachvollzogen werden können und welche Erfahrungen andere mit ihnen gemacht haben. Die Freund*innen, mit denen du aufgewachsen bist, falls du diese noch hast, könnten die besten Gefährt*innen für Direkte Aktionen sein, da du mit ihren Stärken und Schwächen und der Art wie sie Stress verarbeiten vertraut bist. Außerdem kannst du dir sicher sein, dass sie sind wer sie vorgeben zu sein. Achte darauf deine persönliche Sicherheit und die Sicherheit eines Projekts nur besonnenen Menschen anzuvertrauen, die deine Prioritäten und Verpflichtungen teilen und sich und anderen nichts zu beweisen haben. Über lange Sicht, ziele darauf ab eine Gemeinschaft von Menschen aufzubauen, die lang bewährte Freundschaften verbinden. Sammelt Erfahrungen darin gemeinsam zu handeln und etabliert Verbindungen zu ähnlichen Gemeinschaften.

Macht euch nicht zu viele Sorgen darüber, ob Menschen Spitzel sein könnten oder nicht; wenn eure Sicherheitsmaßnahmen effektiv sind, sollte es gar keinen Unterschied machen.

Verschwende deine Energie nicht daran paranoid zu werden und jede Person, die du triffst zu verdächtigen. Wenn du alle sensiblen Informationen innerhalb des Kreises von Menschen behältst, die sie etwas angehen, nur mit verlässlichen Freund*innen zusammenarbeitest, deren Identitäten du nachprüfen kannst und niemals etwas über deine vertraulichen Aktivitäten verrätst, werden Spitzel, Informant*innen und verdeckte Ermittler*innen nicht in der Lage sein, Material zu sammeln, das sie gegen dich verwenden können. Eine gute Sicherheitskultur sollte es praktisch irrelevant machen, ob diese Art Ungeziefer in deinem Umfeld aktiv ist, oder nicht. Wichtig ist nicht, ob eine Person mit der Polizei zusammenarbeitet, sondern ob sie ein Sicherheitsrisiko darstellt; wenn sie unsicher wirken (doppelte Bedeutung beabsichtigt), sollten sie niemals in eine Situation gelassen werden, in der die Sicherheit einer anderen Person von ihnen abhängt.

Lerne und befolge die Sicherheitsvorstellungen jeder Person, mit der du interagierst und respektiere ihre Unterschiede.

Um mit anderen zusammenzuarbeiten, musst du sicher gehen, dass sie sich mit dir wohl fühlen. Selbst wenn du nicht direkt mit ihnen arbeitest, solltest du sicher gehen, keine schlechten Gefühle bei ihnen zu wecken oder eine Gefahr abzutun, die sie eventuell besser verstehen als du. Wenn es darum geht eine Direkte Aktion zu planen, kann das Nicht-einhalten von festgelegten Sicherheitsstandards nicht nur deine Chance verbauen mit anderen zu kooperieren, sondern auch dafür sorgen, dass ein Projekt nicht zustande kommt. Zum Beispiel, wenn du in einer Situation, die von anderen als unsicher empfunden wird, eine Idee erwähnst, die diese Leute ausprobieren wollten, fühlen sie sich anschließend vielleicht gezwungen den Plan aufzugeben, da er nun mit ihnen in Verbindung gebracht werden könnte. Bitte Menschen darum, dir ihre spezifischen Sicherheitsbedürfnisse zu erklären, bevor du das Thema direkter Aktionen überhaupt ansprichst.

Lass andere wissen was genau deine Sicherheitsbedürfnisse sind.

Aus der Forderung, dass du die Erwartungen von anderen befolgst ergibt sich, dass du es anderen erleichtern solltest deine Bedürfnisse zu kennen. Stelle zu Beginn jeglicher Beziehung, in der dein privates oder politisches Leben ein Thema werden könnte, klar, dass es Details über deine Aktivitäten gibt, die du für dich behalten musst. Dies kann dir in ohnehin stressigen Situationen viel Terz ersparen. Das letzte was du brauchst, wenn du gerade von einer schief gelaufenen Aktion nach Hause kommst, ist Stress mit deinem*r Partner*in: „Aber wenn du mir vertrauen würdest, könntest du mir sagen wo du warst. Wie kann ich sicher sein, dass du dich nicht mit wem anderen triffst? …“ Es geht hier nicht um Vertrauen — sensible Informationen sind keine Belohnung, die sich verdient werden kann.

Gib auf andere Leute Acht.

Teile anderen Menschen mit welches Risiko du durch deine Anwesenheit oder durch Aktionen, die du planst, für sie darstellen könntest. Zumindest insoweit, wie du damit nicht entgegen der Grundsätze eurer Sicherheitskultur handelst. Lass sie, soweit du kannst, wissen, welche Risiken du selbst eingehst, zum Beispiel ob du es dir leisten kannst, festgenommen zu werden oder nicht (bspw. weil noch andere Strafbefehle gegen dich ausstehen, dein Aufenthaltsstatus ungeklärt ist, usw.), welchen Verantwortungen du nachkommen musst und ob du Krankheiten oder Allergien hast. Gefährde andere nicht durch deine Entscheidungen, vor allem nicht, wenn du nicht in der Lage bist sie direkt zu unterstützen, falls sie aufgrund deines Verhaltens festgenommen und verurteilt werden oder Ähnliches. Wenn du zum Beispiel hilfst eine Sponti zu starten, die die angemeldete Zone verlässt, versuche deinen Körper zwischen der Polizei und denen zu halten, die zwar mitgekommen sind, aber nicht unbedingt verstehen welchen Risiken sie sich aussetzen. Wenn du eine spontane Demo zur Eskalation bringst, indem du fremdes Eigentum zerstörst, stelle sicher, dass die, die darauf nicht vorbereitet waren, nicht noch herumstehen, wenn die Polizei eintrifft. Egal welche riskanten Projekte du unternimmst, stelle sicher, dass du gut vorbereitet bist und sie schlau angehst, sodass niemand anderes unerwartete Risiken eingehen muss um dich zu retten, wenn du einen Fehler machst.

Sicherheitskultur ist ein Verhaltenskodex, ein Weg um unnötige Missverständnisse und potenziell verhängnisvolle Konflikte zu vermeiden.

Sicherheitsvorkehrungen sollten nie eine Entschuldigung dafür sein, anderen das Gefühl zu geben ausgeschlossen oder minderwertig zu sein — wobei es einiges an Fingerspitzengefühl brauchen kann, um dies zu vermeiden — genauso wie niemand das Gefühl haben sollte, ein Recht darauf zu haben an etwas beteiligt zu sein, was andere lieber für sich behalten wollen. Diejenigen, die eine Sicherheitskultur missachten sollten beim ersten Mal nicht zu streng dafür getadelt werden. Es geht nicht darum hip genug zu sein den Benimmregeln einer aktivistischen Szene zu folgen, sondern darum Gruppenerwartungen zu etablieren und anderen vorsichtig dabei zu helfen, ihre Wichtigkeit zu verstehen. Zudem sind Leute am wenigsten in der Lage konstruktive Kritik anzunehmen, wenn sie das Gefühl haben, sich verteidigen zu müssen. Trotzdem sollten Personen immer direkt darauf angesprochen werden, wenn sie andere gefährden und was die Konsequenzen wären, wenn sie sich weiterhin so verhielten. Wer das nicht versteht, sollte taktvoll aber effektiv aus allen sensiblen Situationen ausgeschlossen werden.

Sicherheitskultur ist nicht institutionalisierte Paranoia, sondern ein Weg um ungesunde Paranoia zu vermeiden, indem Risiken von vornherein minimiert werden.

Es ist unproduktiv mehr Energie darauf zu verwenden, sich über mögliche Überwachung zu Sorgen, als nötig ist, um die Gefahr, die sie birgt, zu reduzieren. Genauso ist es lähmend, ständig getroffene Vorkehrungen zu hinterfragen und die Authentizität derer in Frage zu stellen, mit denen du zusammenarbeitest. Eine gute Sicherheitskultur sollte dazu führen, dass alle entspannter und selbstbewusster werden, nicht das Gegenteil bewirken. Gleichzeitig ist es kontraproduktiv diejenigen, die striktere Sicherheitsvorkehrungen treffen als du, der Paranoia zu bezichtigen. Denk‘ dran, unsere Feind*innen sind darauf aus uns zu kriegen.

Lass nicht zu, dass Argwohn gegen dich eingesetzt wird.

Wenn eure Feind*innen nicht in der Lage sind eure Geheimnisse zu erfahren, werden sie dazu übergehen euch gegeneinander auszuspielen. Verdeckte Ermittler*innen können Gerüchte und Anschuldigungen verbreiten um Zwietracht, Misstrauen und Ärger zwischen oder innerhalb von Gruppen zu kreieren. Sie könnten Briefe fälschen oder ähnliche Maßnahmen ergreifen, um Aktivist*innen etwas anzuhängen. Die Mainstream-Medien können sich hieran beteiligen, indem sie berichten, dass es in einer Gruppe eine Informantin gibt, obwohl es keine gibt, indem sie die Politik oder Geschichte einer Person oder Gruppe falsch darstellen, um mögliche Verbündete abzuschrecken. Oder indem sie immer wieder betonen, dass es einen Konflikt zwischen zwei Strömungen einer Bewegung gibt, bis diese sich schließlich tatsächlich misstrauen. Nochmal: eine ausgeklügelte Sicherheitskultur, die ein angemessenes Maß an Vertrauen fördert, sollte derartige Provokationen auf persönlicher Ebene nahezu unmöglich machen. Im Bezug auf Verfechter*innen unterschiedlicher Taktiken und Organisationen, denk‘ an die Bedeutsamkeit von Solidarität und der Vielfalt von Taktiken und vertraue darauf, dass andere das auch tun, selbst wenn die Medien etwas anderes nahe legen. Akzeptiere Gerüchte und Berichte nicht als Fakten, sondern prüfe immer die Quellen für ihre Bestätigung. Sei hierbei diplomatisch und stoße niemanden vor den Kopf.

Lass dich nicht von Bluffs einschüchtern.

Die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu ziehen, ist nicht unbedingt ein Indikator dafür, dass sie Details über deine Pläne oder Aktivitäten haben. Oft ist sie ein Anzeichen dafür, dass sie nichts wissen und versuchen, dir Angst einzujagen, damit du sie nicht weiterführst. Lerne einzuschätzen wann du tatsächlich aufgeflogen bist und wann deine Feind*innen nur versuchen dich dahingehend zu ängstigen, ihre Arbeit zu übernehmen.

Sei immer auf die Möglichkeit vorbereitet observiert zu werden, aber verwechsle Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen nicht mit Effektivität.

Selbst wenn alles was du tust legal ist, kannst du die Aufmerksamkeit und die Belästigung durch Firmen oder Sicherheitsdienste auf dich ziehen, wenn sie das Gefühl haben, dass du ihnen unbequem werden könntest. Einerseits kann das gut sein: je mehr sie zu überwachen haben, desto verstreuter sind ihre Kapazitäten und desto schwieriger wird es für sie, Störer*innen zu identifizieren und zu neutralisieren. Andererseits solltest du dich nicht zu sehr darüber freuen, dass du überwacht wirst und dies als ein Zeichen dafür sehen, dass du eine Gefahr für deine Feind*innen darstellst. So schlau sind die nicht. Sie tendieren dazu sich am meisten mit dem Widerstand von Organisationen aufzuhalten, deren Taktiken ihren eigenen ähneln. Macht euch das zu nutzen. Die besten Taktiken sind die, die Menschen erreichen, aussagekräftig sind und Einfluss nehmen ohne auf den Radar der Mächtigen zu geraten, zumindest nicht bis es zu spät ist. Im Idealfall sind eure Aktivitäten allen bekannt, mit Ausnahme der Staatsorgane.

Sicherheitskultur beinhaltet eine Norm der Verschwiegenheit, aber nicht der Sprachlosigkeit.

Die Geschichten unserer verwegenen Taten im Kampf gegen den Kapitalismus müssen erzählt werden, damit alle erfahren können, dass Widerstand eine reale Möglichkeit ist, die von echten Menschen umgesetzt wird. Über eine militante Praxis sollte insofern offen geredet werden, dass es möglich wird sie zu etablieren und sich dafür zu vernetzen, nicht nur um gemeinsame Aktionen zu planen, sondern auch um sich aufeinander zu beziehen und sich miteinander (offen) solidarisch zu zeigen. Eine gute Sicherheitskultur sollte gerade soviel Geheimhaltung aufrechterhalten, dass Personen während ihrer Untergrundaktivitäten sicher sind, und gleichzeitig die Sichtbarkeit von radikalen Perspektiven ermöglichen. Viele Sicherheitsstandards heutiger Aktivist*innen entstammen verschiedenen radikalen Bewegungen der letzten Jahrzehnte und ihren Erfahrungen mit staatlicher Repression.’ Daher eignen sie sich wunderbar für die Arbeit in kleinen Gruppen, die einzelne illegale Aktionen durchführen. Sie sind aber oft nicht angemessen für öffentliche Kampagnen, die zu generellem Ungehorsam aufrufen. In manchen Fällen kann es Sinn ergeben, Gesetzte offen zu brechen, um die Beteiligung größerer Massen zu provozieren und die Sicherheit der einzelnen Person durch die Masse herzustellen.

Finde die Balance zwischen der Notwendigkeit nicht von deinen Feind*innen erwischt zu werden und der Notwendigkeit ansprechbar für potenzielle Freund*innen zu sein.

Die Wahrheit ist, wenn wir erfolgreich darin sind Veränderungen herbeizuführen, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir letztendlich erwischt werden. Und wenn niemand sonst versteht was wir machen und was wir wollen, wird es leicht sein uns ohne Konsequenzen zum Schweigen zu bringen. Nur die Macht der informierten und sympathisierenden Öffentlichkeit, kann uns dann helfen. Es sollte immer eine Möglichkeit geben, in Gemeinschaften, die Direkte Aktionen durchführen, aufgenommen zu werden, damit mehr und mehr Menschen mitmachen können. Die, die wirklich ernsthafte Sachen machen, sollten dies natürlich für sich behalten, aber jede Gemeinschaft sollte auch ein oder zwei Mitglieder haben, die lautstark über Direkte Aktionen sprechen, diese erklären und bewerben und die diskret dabei helfen können vertrauenswürdige Neulinge miteinander bekanntzumachen.

Wenn du eine Aktion planst, beginne damit ein angemessenes Sicherheitslevel zu etablieren und dich entsprechend zu verhalten.

Zu lernen das Risiko einer Aktivität oder Situation einzuschätzen und zu wissen, wie damit umgegangen werden sollte, ist nicht nur ein ausschlaggebender Teil davon nicht im Knast zu landen, es hilft auch dabei zu entscheiden, wann du dir keine Sorgen machen musst und wann du keine Energie in sorgfältige, arbeitsintensive Sicherheitsmaßnahmen stecken musst. Denk daran, dass eine Aktion verschiedene Aspekte haben kann, die verschiedene Sicherheitslevel erfordern und trenne diese voneinander. Hier ist ein beispielhaftes Bewertungssystem für Sicherheitsstufen:

  1. Nur die bei einer Aktion direkt Involvierte wissen von ihrer Existenz.
  2. Unterstützungspersonen, denen vertraut wird, wissen von der Aktion, aber die Gruppe entscheidet gemeinsam, wer diese Personen sind.
  3. Es ist in Ordnung für die Gruppe, andere Menschen dazu einzuladen mitzumachen — die sich dann auch dagegen entscheiden können — das bedeutet, dass einige Unbeteiligte von der Aktion erfahren, aber von ihnen erwartet wird, dass sie das Geheimnis für sich behalten.
  4. Die Gruppe erstellt keine Liste darüber, wer eingeladen wird, sondern Teilnehmer*innen können unabgesprochen weitere Personen einladen und diesen anbieten das gleiche zu tun. Allerdings wird hierbei deutlich gemacht, dass die Info nur an Personen weitergeben werden soll, denen Geheimnisse anvertraut werden können.
  5. „Gerüchte“ über die Aktion können weit und quer durch die Gemeinschaft gestreut werden, doch die Identitäten derer, die sie organisieren, werden geheim gehalten.
  6. Die Aktion wird öffentlich, aber mit einem gewissen Maß an Diskretion, angekündigt, sodass die verschlafeneren unter den Staatsorganen nichts von ihr mitbekommen.
  7. Die Aktion wird öffentlich und über alle Kanäle angekündigt.

Um Beispiele zu geben:

#1 wäre angemessen für eine Gruppe, die vorhat ein Autohaus abzufackeln.
#2 wäre akzeptabel für Gruppen, die kleinere Sachbeschädigungen, wie Graffitisprühen, durchführen.
#3 oder #4 wären angemessen, wenn im Vorfeld eines großen Schwarzen Blocks auf einer Demo ein Deligiertentreffen einberufen wird oder für eine Gruppe, die eine autonome Zeitungsbeilage herausgeben möchte. Immer abhängig vom Verhältnis des Risikos zur nötigen Anzahl an Leuten.
#5 wäre perfekt für ein Projekt, das eine spontane, unangemeldete Demonstration plant. Zum Beispiel hören alle davon, dass eine Kundgebung in eine „spontane“ Demo übergehen soll, sodass alle sich vorbereiten können, aber niemand die genauen Pläne kennt und als Organisator*in belangt werden kann.
#6 wäre angemessen um einen Critical-Mass-Bike-Ride anzukündigen: Flyer können um Ampelmasten und Fahrradlenker gewickelt werden, aber an die Zeitungen werden keine Ankündigung geschickt, sodass die Polizei erst Wind davon bekommt, wenn die Demo schon losgefahren ist und nicht zugreifen kann, wenn die Teilnehmer*innen noch einzeln anreisen oder rumstehen und angreifbar sind.
#7 ist angemessen für eine angemeldete Großdemo oder eine öffentliche Filmvorführung.

Es ist außerdem sinnvoll, eure Kommunikationswege an die verschiedenen Sicherheitsstufen anzupassen. Hier ist ein Beispiel verschiedener Level von Kommunikationssicherheit, entsprechend der gerade angeführten Sicherheitsstufen:

  1. Keine Kommunikation über die Aktion außer persönlich, außerhalb der Wohnungen der Beteiligten, an überwachungsfreien Orten.
  2. Gruppentreffen finden im Freien statt. Die Gruppenmitglieder dürfen die Aktion an überwachungsfreien Orten besprechen.
  3. Diskussionen sind an definitiv nichtüberwachten Wohnorten erlaubt.
  4. Kommunikation über verschlüsselte Mails und sichere Telefone ist erlaubt.
  5. Per Telefon, Email, etc. kann über die Aktion gesprochen werden, vorausgesetzt es wird darauf geachtet, dass Details über das wer was wann wo etc. nicht preisgegeben werden.
  6. Telefone, E-mail, usw. dürfen genutzt werden. Emaillisten, Flyern an öffentlichen Orten, Anzeigen in Zeitungen, sind vielleicht erlaubt und werden einzeln besprochen.
  7. Kommunikation und Bewerbung über alle Kanäle ist erlaubt und erwünscht.

Wenn du alle belastenden Informationen unter Verschluss hältst und bei jedem Projekt, dass du unternimmst, angemessene Sicherheitsvorkehrungen triffst, solltest du auf einem guten Weg sein die erste Pflicht eines*r Revolutionär*in zu erfüllen: Nicht erwischt werden.

Alles Gute bei deinen Abenteuern und Missgeschicken.