Liebe Besetzende…

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Ein Brief von einigen, die ebenfalls wütend sind

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Unterstützung und Solidarität! Wir sind inspiriert von den Besetzungen hier und anderswo auf dieser Welt. Endlich nehmen sich die Leute die Straße zurück! Die Dynamik rund um diese Aktionen hat das Potential, Protest und Widerstand neu zu beleben. Wir hoffen, dass diese Besetzungen an Zahl und Inhalt wachsen werden und wir tun unser Bestes, unseren Beitrag dazu zu leisten.

Warum äussern wir uns? Kurz: Wir haben solche Situation bereits erlebt. Seit Jahrzehnten kämpfen wir gegen den Kapitalismus, organisieren Besetzungen und versuchen Entscheidungen im Konsens zu treffen. Wir wollen niemanden belehren. Es ist uns ein Anliegen die Erfahrungen, welche wir gemacht haben, zu teilen. Wir wünschen uns, dass gemachte Fehler nicht wiederholt werden. Deswegen fassen wir einige unserer Erfahrungen hier zusammen und stellen sie zur Diskussion.

Die 99% sind nicht eine gesellschaftliche Schicht, sondern viele. Der Slogan »Wir sind 99%« aus den USA lässt vermuten, dass diese eine homogene Masse seien. Im Fernsehen werden diese »Durchschnittsmenschen« erstaunlich häufig als männliche, weiße, gesetzestreue Mittelständische dargestellt – selbst wenn solche Leute in den USA in der Minderheit sind.

Es ist ein Fehler, unsere Unterschiede zu negieren. Nicht jede*r entdeckt erst jetzt die Ungerechtigkeit des Kapitalismus, manche Bevölkerungsschichten sind bereits seit Jahren oder Generationen Zielscheibe des Machtgefüges. Der Mittelstand, der jetzt seinen sozialen Status verliert, kann viel von denjenigen lernen, die schon viel länger unter dieser Ungerechtigkeit zu leiden hatten.

Das Problem sind nicht bloß ein paar »faule Äpfel«. Die Krise ist nicht das Resultat des Egoismus weniger Investmentbanker, sie ist die unvermeidliche Konsequenz eines ökonomischen Systems, welches ruinösen Wettbewerb auf jeder Ebene der Gesellschaft belohnt. Kapitalismus ist kein statischer »way of life«, sondern ein dynamischer Prozess, welcher alles konsumiert und die Welt in Profit und Ruinen verwandelt. Jetzt, wo alle Reserven aufgebraucht sind, kollabiert das System und lässt selbst ehemalige Gewinner*innen im Regen stehen. Die Antwort ist nun nicht auf irgendein früheres Stadium des Kapitalismus zurückzugreifen – zum Beispiel zurück zum Goldstandard. Dies ist nicht nur unmöglich, sondern würde auch nichts ändern: Die 99% wurden in diesen früheren Stadien genauso wenig berücksichtigt. Um einen Weg aus dieser Misere zu finden, müssen wir andere Wege entdecken, um mit uns und mit der Welt umzugehen.

Der Polizei kann nicht vertraut werden. Sie mögen vielleicht »auch nur ihre Arbeit machen«, aber ihr Job ist es, die Interessen und Privilegien der Herrschenden zu verteidigen. So lange sie als Polizist*innen angestellt sind, können wir nicht auf sie zählen, wie freundlich sie sich auch immer verhalten mögen. Besetzer*innen, welche das noch nicht wissen, werden es aus erster Hand erfahren, sobald sie das Ungleichgewicht von Macht und Wohlstand, auf welchem unsere Gesellschaft basiert, bedrohen. Jede*r, der oder die jetzt einwendet, die Polizei existiere, um den gewöhnlichen Leuten zu helfen und sie zu beschützen, hat wohl ein privilegiertes und gehorsames Leben geführt.

Erklärt Gesetzestreue nicht zum Fetisch. Gesetze dienen dem Schutz der Privilegien der Wohlständigen und Mächtigen, ihnen treu zu sein ist nicht zwingend ethisch korrekt – es kann sogar unethisch sein. Sklavenhandel war legal. Auch die Nazis hatten Gesetze. Wir müssen die Kraft entwickeln, das zu tun, was wir für das Beste halten, unabhängig von den Gesetzen.

Um vielfältige Teilnehmer_innen zu haben, muss eine Bewegung Platz für vielfältige Aktionsformen lassen. Es ist arrogant und selbstgefällig zu denken, dass du alleine wüsstest, auf welchem Weg eine bessere Welt zu erreichen sei. Andere zu denunzieren hilft den Autoritäten, die Bewegung zu delegitimieren, zu spalten und sie als Ganzes zu zerstören. Kritik und Diskussionen treiben eine Bewegung vorwärts, aber Machtkämpfe lähmen sie. Das Ziel sollte nicht sein, jede*n zu zwingen, eine bestimmte Taktik anzuwenden, sondern herauszufinden, wie unterschiedliche Herangehensweisen sich gegenseitig ergänzen können.

Unterstelle nicht denjenigen, die das Gesetz brechen oder der Polizei entgegentreten, »Agents Provocateurs« zu sein. Viele Leute haben gute Gründe, wütend zu sein. Nicht nur ist es irreführend zu glauben, Auseinandersetzungen mit den Autoritäten werden immer von den Autoritäten selbst angezettelt – das negiert auch die notwendige direkte Konfrontation mit dem Status Quo und den Mut derjenigen, die sich darauf vorbereitet haben. Nicht jede*r begnügt sich mit legalistischem Pazifismus; einige Leute wählen andere Formen, wie sie für sich selbst eintreten können.

Polizeigewalt ist nicht bloß da um uns zu provozieren, sondern auch, um uns zu verletzen und uns Angst einzuflössen. In diesem Kontext ist Selbstverteidigung essentiell.

Keine Regierung – das heißt: keine zentralisierte Macht – wird jemals die Bedürfnisse der gewöhnlichen Leute über diejenigen der Mächtigen stellen. So etwas hat noch nie existiert. Es ist naiv, darauf zu hoffen. Zentral in dieser Bewegung sollte der Wunsch nach Freiheit und Autonomie und die gegenseitige Unterstützung sein, die uns diesen Zielen näher bringt – und nicht das Verlangen nach einer verantwortungsvolleren zentralisierten Macht.

Das bedeutet: Das Wichtige ist nicht, Forderungen an die Herrschenden zu stellen, sondern kräftig genug zu werden, um unsere Bedürfnisse selbst zu realisieren. Wenn wir Forderungen stellen und uns so auf die Mächtigen verlassen, laufen wir Gefahr, mit halbgaren Kompromissen abgespeist zu werden. Viele vergangene Proteste sind genau daran zu Grunde gegangen.

Gleichermassen haben unzählige Bewegungen in der Vergangenheit auf die harte Tour erfahren müssen, dass der Aufbau einer eigenen Bürokratie, wie »demokratisch« diese auch immer war, bloß ihre eigentlichen Ziele untergraben hat. Wir sollten weder neuen Führer*innen noch irgendwelchen neuen Entscheidungsformen Autorität verleihen; wir sollten Wege finden, unsere Freiheit zu verteidigen, auszudehnen und dabei die Ungerechtigkeiten, die uns aufgezwungen werden, abzuschaffen.

Die Besetzungen werden neue Aktionen hervorbringen. Wir sind nicht nur hier, um uns zu artikulieren – wenn wir nur reden, werden wir bei den Mächtigen auf taube Ohren stoßen. Lasst uns Raum für selbstbestimmte Initiativen nehmen und direkte Aktionen organisieren, die den Ursprüngen sozialer Ungerechtigkeit entgegentreten.

Danke fürs Lesen und Planen und Agieren.

Mögen all deine Träume in Erfüllung gehen.