Von Victor Jara bis hin zu Public Enemy hat Musik eine wichtige Rolle in zahllosen Kulturen des Widerstands gespielt. Viele die von 1978 bis zum Jahr 2000 an anarchistischen Bewegungen teilgenommen haben, waren früher oder später auch Teil der Punk-Gegenkultur; viele sind erst durch Punk mit anarchistischen Ideen in Berührung gekommen. Dies könnte lediglich ein unbedeutender Zusammenhang sein: vielleicht haben die gleichen Eigenschaften, die Menschen auf die Suche nach anarchistischen Ideen getrieben haben, sie auch dafür anfällig gemacht, aggressive und unabhängig produzierte Musik zu genießen. Es ließe sich aber auch argumentieren, dass Musik, die ästhetische und kulturelle Grenzen überschreitet, ihre Hörerschaft dazu bringen kann, einem breiteren Spektrum an Möglichkeiten auch in anderen Sphären des Lebens gegenüber aufgeschlossen zu sein.
Nun, da wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die Punk1-Subkultur als ein Inkubator für Anarchist*innen fungiert, sollten wir uns daranmachen zu verstehen, wie und warum Punk diese Rolle 30 Jahre lang innehatte.
Vorwort: Als Punk noch ein Rekrutierungsfeld der Anarchie war
»Die Leute reden davon- , dass wir nur vor Bekehrten predigen- – nun ja, wer zur Hölle hat sie wohl bekehrt?«
- Penny Rimbaud, Crass
Es gibt zahllose Gründe, warum mensch das Schicksal einer revolutionären Bewegung nicht vom Erfolg einer Musikszene abhängig machen sollte. Menschen, die über Punk zum Anarchismus kamen, neigten dazu, ähnlich an anarchistische Aktivität heranzugehen, wie sie es von ihrem Zugang zu einer Jugendsubkultur her kannten. Dies hatte seinen Anteil an einem anarchistischen Milieu, das eher konsumorientiert und wenig initiativ war, und damit einhergehend einer Konzentration auf Identität statt auf dynamischer Veränderung; Aktivitäten, die sich auf die Freizeit ihrer Teilnehmer*innen beschränkten, ideologische Konflikte, die auf einen Streit über unterschiedliche Geschmäcker hinausliefen und eine Orientierung an der Jugend, die die Bewegung für viele mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter überflüssig machte.
Doch während der Jahrzehnte des globalen Widerstands, die auf die 1960er folgten, war der Punk-Underground einer der wichtigsten Katalysatoren des wieder erstarkenden Anarchismus. Gäbe es nicht Punk, würden Antikapitalist*innen in vielen Teilen der Welt wohl immer noch zwischen den muffigen Varianten des autoritären Sozialismus wählen.
Crass: Anarchistische Anfänge im Punk
Zugegebenermaßen war das durchschnittliche Punk-Konzert so stark vom Patriarchat dominiert wie ein Seminarraum an der Uni. All die Hierarchien, wirtschaftlichen Zwänge und Machtgefüge waren in diesem Mikrokosmos präsent. Und der Anarchismus war nicht die einzige Ideologie, die sich die Bühnen des Punks zunutze machte: es gab einen Wettstreit zahlloser Ideologien im Punk-Milieu, von Neo-Nazis über das Christentum bis hin zum Krishna-›Bewusstsein‹. Doch all dies macht es umso bemerkenswerter, dass anarchistische Ideen so gut ankamen, vor allem, wenn mensch bedenkt, dass sie zu der Zeit in anderen Kreisen weniger erfolgreich waren. Wir können diesen Erfolg strukturellen Faktoren zuschreiben. Jahre bevor Internet-Zugänge weit verbreitet waren, stellte die DIY-Punk-Szene ein seltenes Beispiel für horizontale und partizipatorische Aktivitäten dar. Während sie ihre eigenen Angelegenheiten in dezentralen Netzwerken organisierten, konnten die Teilnehmer*innen am eigenen Leib die Vorteile einer führerlosen Autonomie erfahren. Wer schon einmal eine eigene Tour ohne Plattenfirmen, profit-orientierte Auftrittsmöglichkeiten und Tour-Promoter*innen organisiert hat, kann sich sicherlich leicht vorstellen, auch andere Aspekte des Lebens auf eine ähnliche Art zu organisieren. Zudem gab es in dieser Jugendkultur, die auf der Opposition gegenüber Autoritäten basiert, weniger inhärente Mechanismen, die radikale Ideen unterdrückten.
Es ist auch möglich, dass anarchistische Werte genau deshalb in der Punk-Szene zum Tragen kamen, weil sie überall anders so marginalisiert waren: zu einer Zeit, als radikale Ideen an die Ränder der Gesellschaft gedrängt wurden, wimmelte es von ihnen in den randständigen Subkulturen. Dadurch kann eine Feedback-Schleife entstehen, die diese Ideen klein hält, da sie nicht mit populären oder erfolgreichen Initiativen verbunden werden. Die Romantisierung der Abgründigkeit und des Scheiterns, die dazu führte, dass revolutionäre Ideale im Punk gerne gesehen wurden, ermutigte ihre Anhänger*innen nicht dazu, darum zu kämpfen, auch außerhalb des Punk-Ghettos erfolgreich zu sein.
Doch das selbst auferlegte Exil der Punk-Community war auch ein effektiver Abwehrmechanismus während einer Zeit der kapitalistischen Vereinnahmung. Die Punk-Szene half dabei, anarchistische Ideale zwischen den 1970er-Jahren und dem 21. Jahrhundert am Leben zu halten, ähnlich wie Klöster die Wissenschaft und die Literatur während des finsteren Mittelalters bewahrten. Auch wenn die Anforderungen und der Einfluss der kapitalistischen Ökonomie die gleichen Machtungleichheiten und den Materialismus reproduzierten, denen Punks zu entfliehen gehofft hatten, – und dadurch die Kritik des Punk am Kapitalismus zu einer Variante der liberalen Maxime ›buy local‹ reduzierten –, zeigte der antikapitalistische Underground eine bemerkenswerte Widerstandskraft. In einem Zyklus, der irgendwann vertraut wurde, wurde jede Generation so lange größer, bis die profitorientierte Musikindustrie die erfolgreichsten unpolitischen Bands absahnte, und dadurch die Grundlage für eine Rückkehr zu Graswurzelbewegungen und neuen Experimenten lieferte. Somit wurde die Punkszene zu einem Testgebiet und Entwicklungsfeld für neue Bands und Trends, aber dieser Prozess führte auch dazu, dass die Punk-Szene von ihren Parasiten befreit wurde.
Weit entfernt von den MTV-Talentscouts, konkurrierenden Indie-Labels und alternativer Konsumkultur ließ sich etwas Wunderschönes und Freies im Herzen des DIY-Undergrounds finden. Im besten Fall war es ein Ort, an dem die Rollen der Protagonist*innen und der Zuschauer*innen austauschbar wurden und an dem die Zwänge der herrschenden Kultur abgeschüttelt werden konnten.
Lasst uns dies mit den Beispielen anarchistischer Aktivität vergleichen, die momentan en vogue sind. Während politische Aktivität sich oft auf Belange konzentriert, die außerhalb des täglichen Lebens der Teilnehmer*innen liegen, und dadurch dahin tendiert, mehr Energie zu kosten, als zu schaffen, war der DIY-Punk spaßorientiert und bot somit Aktivitäten, die an sich schon erfüllend waren. Auch wenn dies belanglos erscheinen mag, so sind doch soziale Kontakte und Bestätigung so notwendig wie Essen und ein Dach über dem Kopf. In einigen Teilen der Welt gehört die Punk-Szene viel eher zur Arbeiterklasse oder den unteren Klassen als große Teile des anarchistischen Milieus; dies deutet darauf hin, dass sie eher wirkliche Bedürfnisse befriedigte, als , der Mittelklasse zur Zerstreuung zu dienen. Im Gegensatz zu Protesten, die kritisiert werden, weil sie nur reagieren, statt zu agieren, betonte Punk im Idealfall Kreativität und zeigte eine konkrete Alternative auf.
Dabei war Punk jugendorientiert, ja; aber da die Jugend zu den potenziell rebellischsten und offensten gesellschaftlichen Gruppen gehört, könnte dies als Vorteil angesehen werden. Indem Punk sich auf den Selbstausdruck konzentrierte, ermöglichte er es den Teilnehmenden, Selbstvertrauen und Erfahrungen in risikoarmen Aktionen zu sammeln, während gleichzeitig eine Menge Kunstwerke erschaffen wurden, die auch als Material für die Öffentlichkeitsarbeit dienten. Als dezentralisierte kulturelle Bewegung reproduzierte er sich selbst organisch und nicht durch institutionelle Bemühungen.
Sollten wir versuchen, ein kulturelles Pendant zum aktuellen Aktivismus zu erfinden, das Energie erzeugen und anarchistische Werte unter jungen Menschen verbreiten soll, wird es schwer sein, etwas Besseres als Punk zu finden. Die Meme-Kultur empfiehlt sich erheblich weniger.
Anarchist*innen haben oft lamentiert, dass die Punk-Szene voll von Menschen sei, die keinen Wert auf anarchistische Werte legen. Wenn wir anderen Menschen den Anarchismus nahebringen möchten, müssen wir uns wohl oder übel mit vielen Menschen auseinandersetzen, die keine Anarchist*innen sind. Dies trifft besonders auf die Vereinigten Staaten und Nordeuropa zu, wo so viele Menschen ohne jeglichen Kontakt zu radikalen Ideen aufwachsen. Im Gegensatz dazu könnten anarchistische Punks in Italien sagen: »Punk bedeutet Anarchie plus Gitarre und Schlagzeug; alles andere ist nur Gehorsam.«
Vieles spricht dafür, in unterschiedlichen Umgebungen zu agieren, in denen sich die Anschauungen der Individuen und die Kultur, die sie verbindet, noch in der Entwicklung befinden. Dadurch, dass die Punk-Kultur keinem strikten ideologischen Rahmen unterworfen war, bot sie einen ergiebigeren Raum für Experimente als viele explizit radikale Milieus. Hätte diese Erkenntnis auch anderswo Anwendung gefunden – hätten Anarchist*innen in anderen politisch diversen, horizontalen, netzwerkbasierten Milieus einflussreiche Projekte initiiert –, hätten sich anarchistische Ideen schon weiter ausbreiten können.
Punk in Singapur in der 1990ern.
Trotz des Vorwurfs einiger Kritiker*innen, die Punk-Szene sei nicht mehr als eine Spielwiese für privilegierte Konsument*innen aus der Ersten Welt, war doch Punk ein integraler Bestandteil des Wiederaufflammens anarchistischer Ideen weit außerhalb von Europa und den Vereinigten Staaten. Während Punk wohl in Großbritannien und den Vereinigten Staaten entstanden ist, fand doch ein großer Anteil der Aktivitäten des globalen Punk-Undergrounds in Südamerika und im Pazifischen Raum statt, ganz abgesehen von Südafrika, Israel, Australien, Neuseeland und den ehemaligen Ostblockländern. In vielen dieser Länder wird Punk noch viel offenkundiger mit radikaler Politik assoziiert, als es in den Vereinigten Staaten der Fall war; Punk hatte vor allem in solchen Zusammenhängen, in denen es keine radikale Alternative zur marxistischen Hegemonie gab, einen entscheidenden Anteil daran, den Anarchismus wiederzubeleben. Es wäre aufschlussreich zu untersuchen, warum Punk in Ländern wie Brasilien, Malaysia oder den Philippinen Wurzeln schlagen konnte, nicht jedoch in Indien und den meisten arabischsprachigen Ländern, und wie dies mit der Ausbreitung anarchistischer Ideen in den letzten dreißig Jahren zusammenhängt.
Punk und Widerstand: Ein zeitlicher Ablauf
Die erste große Welle des politisierten Punk lässt sich vermutlich auf die britische Band Crass zurückführen, die sich beim Dadaismus und anderen Avantgarde-Traditionen bediente und aus dem frühen Punkrock eine Form der kulturellen Agitprop machte. Jahrzehnte später konnte mensch als Besucherin in Großbritannien kleine Kreise von alternden Anarchopunks vorfinden, die durch Crass politisiert worden waren und die immer noch Teil des gleichen unabhängigen Musikundergrounds waren und auch immer noch die gleichen Auseinandersetzungen über The Clash wieder aufgriffen, wann immer sie betrunken waren.
Ein Jahrzehnt später hatte der DIY-Underground der 1990er in den Vereinigten Staaten einen Anteil an der Intensivierung des Tierrrechtsaktivismus und half dabei, den Boden für die Anti-Globalisierungsbewegung zu bereiten. Zeitschriften wie Profane Existence verbreiteten radikale Perspektiven auf alles (vom Feminismus bis hin zu Schusswaffen); DIY-Communitys entstanden, in denen jede*r ein Zine schrieb, in einer Band spielte oder Kellerkonzerte organisierte; selbst in den größten Macho-Szenen sprach die Band das Publikum zwischen den Songs an – und sei es nur, um sie dazu zu bringen, brutaler zu tanzen.
Am Vorabend des Beginns der Anti-Globalisierungsbewegung2 versammelten sich Hunderte Punks Ende April 1999 zum »Millions for Mumia«, einer Demo, die den Staat Pennsylvania davon abbringen sollte, Mumia Abu-Jamal hinzurichten. Für viele war es das erste Mal, dass sie einen längeren Weg zurückgelegt hatten, um zu demonstrieren; und es war auch das erste Mal, dass viele sich in der Öffentlichkeit mit schwarzer Vermummung und schwarzen Sweat-Shirts versammelt hatten, auch wenn es nicht zu größeren Konflikten mit der Polizei kam. Dieser Augenblick, in dem politisierte Punks realisierten, dass es genug von ihnen gab, um eine gesellschaftliche Macht zu sein, bereitete den Weg für alles Weitere, das später folgen sollte: Ein Jahr später kämpften viele der Teilnehmer*innen Seite an Seite bei den Demonstrationen gegen das Treffen des IWF / der Weltbank im April 2000 in Washington DC. Am Abend nach der Demo versammelten sich viele Zuschauer*innen im Stalag 13, einem DIY-Veranstaltungsort, um His Hero Is Gone zu sehen; viele hatten das Gefühl, dass es keinen großen Unterschied zwischen subkultureller Identität und politischer Aktivität gab. Im selben Jahr erreichte die Primate-Freedom-Tour eine Synthese von Punk und radikalem Aktivismus, indem sie eine Reihe von Shows dazu nutzte, um lokale Demos gegen Labore, die an Primaten experimentierten, zu bewerben.
Der DIY-Boom Mitte der 90er verstärkte die Wucht der Antiglobalisierungsbewegung. Diejenigen, die selber Teil einer Punk-Band oder ihres Umfelds waren, wussten genau, wie eine Bezugsgruppe funktionierte. In dezentralen Netzwerken zu agieren und autonome Aktionen zu koordinieren, lag ihnen im Blut. Menschen, die schon immer durchs Land gereist waren, um an chaotischen subkulturellen Events teilzunehmen, fiel es leicht, durchs Land zu reisen, um an chaotischen antikapitalistischen Demos teilzunehmen. Das sogenannte ›Summit-Hopping‹ bot oft die gleichen Anreize wie Punk – Risiko, Aufruhr, Zusammenhalt, Möglichkeiten, kreativ zu sein und sich Ungerechtigkeiten entgegenzustellen – zusammen mit der zusätzlichen Verlockung des Gefühls, ein Teil der Frontlinie der Geschichte zu sein.
Im Zeitraum vor dieser Explosion politischer Aktivität war die Punkmusik und -kultur experimenteller geworden, Punks waren auf der Suche nach einer Verbindung von tollkühner Ästhetik und radikaler Rhetorik. Es hat im Punk schon immer eine Spannung gegeben zwischen den einfach gehaltenen Aspekten der Kunst – drei Akkorde und handgefertigte Layouts – und der Sehnsucht nach Innovationen und Herausforderungen. Während die Subkultur ihren Teilnehmer*innen ein breiteres Spektrum an Varianten aufzeigte, was alles möglich war, begannen sie, Musik zu spielen und Forderungen zu stellen, die die Begrenzungen des Mediums strapazierten. Einerseits könnte innovative Musik radikale Ideen verlockender machen: einer unbekannten, aber anregenden Erfahrung nachzugehen, könnte dabei helfen, dass die Hörer*innen daran glauben, dass eine vollkommen andere Welt möglich ist. Andererseits führten diese Experimente zu einer Fragmentierung der Punk-Subkultur, da die Traditionen aufgegeben wurden und die Standards an Musikalität und Kreativität einen Anspruch erlangten, der für viele unerreichbar war.
Vom kompromisslosen Underground…
Unbeständige Phänomene zerfallen irgendwann in ihre Bestandteile und stabilisieren sich dann. Die schwedische Band Refused zum Beispiel, die auf ihrem letzten Album Hardcore, Elektro, Jazz und klassische Musik kombiniert hatte, löste sich im Jahr 1998 auf. Ihre Mitglieder machten weiter und gründeten deutlich traditionellere Bands nach dem Geschmack der einzelnen Mitglieder – keine von ihnen war jedoch auch nur ansatzweise so interessant wie Refused. Als es eine anarchistische Bewegung gab, an der die meisten politisierten Punks teilnehmen konnten, kam es zu einem ähnlichen Prozess innerhalb der Punk-Szene. Bis 1999 blieben die meisten politisierten Punks im Umfeld des DIY-Underground, da es meist kein größeres revolutionäres Milieu gab, zu dem sie hätten weiterziehen können; Musik zu machen und Zines zu schreiben, wurde als politische Aktivität angesehen, trotz der geringen Reichweite innerhalb der Subkultur. All dies änderte sich 1999 nach den WHO-Protesten, die der Startschuss waren für einen langen Zeitraum, in dem es zu einer Demo nach der anderen und einem hohen Maß an politischer Organisierung kam. Die meisten Menschen, die ihre politische Einstellung ernst nahmen, verlagerten ihre Aufmerksamkeit weg von der Punk-Szene. Unterdessen blieben die Menschen, die sich im Punk nur wegen der Musik und der Mode engagierten, und begannen einen Aufstand gegen jegliches politische Engagement. Während sich andere auf anarchistische Treffen, den Schwarzen Block oder Eigenverantwortung konzentrierten, waren es die Reaktionäre, die die Shows buchten und Alben aufnahmen, und sie waren es, die in der unpolitischen und musikalisch konservativen Punk-Szene des 21. Jahrhunderts den Ton angaben.
Zwischen 1998 und 2002 löste sich fast jede Band auf, die geholfen hatte, den Punk-Underground zu politisieren, und viele einflussreiche Magazine stellten ihre Veröffentlichungen ein. Bis zum Mai 2002, als Anarchist*innen das Festival del Pueblo veranstalteten, hatte sich ein Riss aufgetan zwischen den ästhetischen und den politischen Elementen innerhalb der Subkultur. Dieser Riss zeigte sich in den Spannungen zwischen Punks, die nur wegen der Konzerte an dem Festival teilnahmen, und den Anarchist*innen, die eine revolutionäre Bewegung starten wollten. Ein Beispiel hierfür war die Person, die das His Hero Is Gone-Konzert nach dem Millions for Mumia gebucht hatte und später auch Teil der anarchistischen Organisierung gegen die landesweite Zusammenkunft der Republikanischen Partei im Jahr 2000 gewesen war. Diese Person kam, um mit ihrer Band aufzutreten, fuhr dann aber wieder nach Hause, anstatt an den Demos teilzunehmen, die für den folgenden Tag angesetzt waren.
Ein paar Jahre später war die Spaltung zwischen Punk und Anarchismus endgültig. Sogar Against Me!, die die Reaktion des Folk Punk gegen die Stagnation der Anarcho-Punk-Szene angeführt hatten, verließen die DIY-Bewegung und sagten sich von ihrer vormaligen anarchistischen Politik los. From Ashes Rise, die Mitstreiter der kompromisslos unabhängigen His Hero Is Gone gewesen waren, unterschrieben bei einer größeren Plattenfirma und nahmen ein letztes Album mit Songs über den Atomkrieg auf – ein Rückschritt in die 1980er-Nostalgie und umso absurder mitten im Irakkrieg –, bevor sie sich schließlich auflösten. Punk – zumindest in dieser Generation – hatte das Ende seiner Entwicklung als Antrieb für sozialen Wandel erreicht.
… zur Avantgarde der Kooptation
Technologie, Legitimation und Zugang
Lasst uns zum Wiedererstarken des Folk Punk kurz nach der Jahrhundertwende zurückkehren. His Hero Is Gone war eine der ersten DIY-Bands, die professionelles Equipment einsetzte, und kurze Zeit später machte es jede Band, die ernst genommen werden wollte, genauso. Dies führte zu einem Rüstungswettlauf, einer Art von ästhetischer Inflation: keine Lautstärke war laut genug, keine Aufnahme fett genug und kein Equipment teuer genug3. Folk-Punk war eine Reaktion darauf: ein zugängliches, günstiges und bewusst ungeschliffenes Format. Doch es erreichte nie die Popularität des Equipment-basierten Punk; bezeichnenderweise wechselte auch die Vorzeigeband Against Me! im Laufe ihres Wandels hin zu einer Business-Karriere zu Standard-Rock-Instrumenten.
Dementsprechend könnte mensch sich fragen, warum, bei allen Formaten, die im DIY-Underground aufgeblüht sind, es nie reisende Theatergruppen gab. Von außen betrachtet wäre das Theater das perfekte Medium für unabhängige Künstler*innen mit begrenztem Zugang zu Ressourcen. Eine Theatergruppe könnte ohne teures Equipment oder große Fahrzeuge herumreisen; Darbietungen könnten beinahe überall stattfinden. Dario Fo, das Living Theater … Radikales Theater war in fast allen anderen Ländern und zu anderen Zeiten eine lebendige Tradition. Puppenspiele waren fast schon ein Klischee in DIY-Kreisen – also warum nicht Theater?
Dies deutet auf einen schwelenden Materialismus innerhalb der DIY-Kultur hin. Equipment, sei es eine schäbige Puppenbühne aus Pappe oder Verstärker im Wert von mehreren Zehntausend Euro, verleiht die Legitimität, nach der sich die Interpret*innen und das Publikum sehnen. »Schaut«, konnten Aussteiger*innen aus der Arbeiter*innenklasse sich sagen, während sie auf einen rostigen Van voll mit Equipment zeigten, das sie mehrere Jahreslöhne gekostet hat, »wir sind eine echte Band!«
In kapitalistischen Gesellschaften werden Aktivitäten durch den Markt und durch die Medien mit Bedeutung aufgeladen. Rockmusik war ursprünglich eine Kunstform der Arbeiter*innenklasse, die erst durch Kapitalist*innen zu einer Gelddruckmaschine gemacht wurde. Die Bedeutung, die Menschen in der Musik finden, ist echt, aber sie wird von Mächten generiert, die sich weit jenseits ihres Einflusses befinden. Rockstars sind genau deshalb so bedeutend, weil nicht jede*r eine*r sein kann. Seltsamerweise nutzten auch Punks das Rockstar-Format als einen Weg, um sich von ihrer eigenen Wichtigkeit zu überzeugen, selbst während sie gegen die Unternehmen rebellierten, durch die sie dieses Format erst kennengelernt hatten.
Mensch könnte den Aufstieg und Fall des DIY-Punk als einen historischen ›Schluckauf‹ betrachten, der einherging mit der generellen Möglichkeit, selber Alben zu veröffentlichen, und einer generellen Verfügbarkeit von Drucktechniken. Crass war eine der ersten Bands, die ihre eigenen Alben veröffentlichte; dies war spannend, weil sie eine Technik verwendeten, die bis dahin für weite Teile der Arbeiter*innenklasse unerreichbar war. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde diese Entwicklung jedoch durch technischen Fortschritt und ein Überangebot an Technik hinfällig. Sobald jede*r ein Album veröffentlichen konnte, hatte es keine Bedeutung mehr – es war nicht mehr ›echt‹, in dem Sinne, dass alles, was im Fernsehen läuft, ›echt‹ ist, während sich unsere Leben unecht und unbedeutend anfühlen.
Die Punk-Szene hatte ihren Ursprung in den Spannungen, die durch den begrenzten Zugriff auf die musikalischen Produktionsmittel entstanden waren; mit dem Erscheinen der Technologie, die jedem den Zugriff auf diese Mittel ermöglichte, brachen die Strukturen zusammen. Das Internet ersetzte die in mühevoller Kleinarbeit aufgebauten Veröffentlichungsnetzwerke und die Zine-Kultur durch jederzeit verfügbare Musik-Downloads und Blogs. Einiges davon fand in wirklich dezentralen Strukturen statt, aber ein großer Teil verlagerte sich auf Nachahmungen der Großkonzerne wie myspace.com. Die Ausbreitung von myspace war insofern besonders paradox, als dass der DIY-Underground ein Testfeld für die Art von dezentralen Netzwerken war, die durch das Internet allgemein verfügbar wurden.
Sobald jede Band von Mittelklasse-Teenagern ihre eigene Homepage und ihr eigenes Aufnahmestudio haben konnte, enthüllte die darauffolgende Ernüchterung, wie banal das Versprechen des Rockstar-Daseins eigentlich gewesen ist. Einerseits ist es schon gesund, wenn einem die Illusionen geraubt werden, besonders diejenigen, die einem durch den Feind eingeflößt worden sind. Andererseits, wenn nichts ihren Platz einnimmt, wird der Welt noch mehr Bedeutung genommen – und reiner Nihilismus hilft nur, den Status Quo aufrecht zu erhalten.
Punk war aufregend, weil er, im Gegensatz zum Stadionrock, eine relativ unmittelbare Erfahrung bot: mensch konnte seine Lieblingsmusiker*innen treffen, außerhalb der Vorschriften einer repressiven Gesellschaft tanzen und interagieren, sogar eine eigene Band gründen und die Subkultur selbst mitgestalten. Tausende Menschen gingen zu Black Flag-Konzerten, weil sie ein ganz anderes Erlebnis boten als alles, was der Kapitalismus zu bieten hatte. Aber sobald das Internet jede Band zu ihrer eigenen Promo-Agentur gemacht hatte und YouTube es allen ermöglichte, auf dem MTV-Äquivalent zu erscheinen, wurde die unabhängige Musik nicht weniger mittelbar als die der Großkonzerne – und auch nicht weniger öde.
Vom Punk lernen
Der lange Zeitraum, in dem Punk eine Brutstätte des Anarchismus war, zeigt, wie sehr wir von Aktivitäten profitieren können, die genussvoll und kreativ sind. Indem wir kulturelle Strömungen fördern, können wir soziale Bewegungen schaffen, die nicht von einer einzigen Institution abhängig sind, sondern die sich aus eigener Kraft selbst reproduzieren. Idealerweise sollten sie subversiv sein, ohne sofort Repression zu provozieren – es ist wichtig, Grenzen zu ziehen, aber die Teilnehmenden müssen ausreichend Zeit haben, einen evolutionären Prozess zu durchlaufen, bevor die Bullen ihre Knüppel zücken. Ein nachhaltiger Raum, der langfristige Widerstandsbewegungen fördert, kann letztendlich mehr zu einem militanten Kampf beitragen als die Art der ungeduldigen Aufständischen, die sofort mit der Konfrontation beginnen, anstatt sie in Ruhe aufzubauen.
So sehr Punk auch dafür kritisiert wird, dass er sich abschottet, zeigt doch der Erfolg des Anarcho-Punks, wie effektiv es für Anarchist*innen sein kann, sich langfristig in einem Milieu zu engagieren, mit dessen Dimensionen sie umgehen können. Es ist umso besser, wenn dies in einem politisch diversen Raum geschieht, in dem es zu Debatten und dynamischen Veränderungen kommen kann und in dem neu hinzugekommene Menschen radikalen Ideen begegnen können.
Gleichzeitig ist es jedoch für eine gesellschaftliche Bewegung, die darauf abzielt, das gesamte Leben zu verändern, lähmend, wenn sie nur mit einer einzigen Subkultur assoziiert wird. Wenn wir von den Jahren der anarchistischen, in der Punk-Kultur verwurzelten Organisierung lernen, können wir erkennen, wie wichtig Orte sind, die Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten auf einer gemeinsamen Basis zusammenbringen. Genauso können wir von den Aspekten lernen, die den Punk gleichzeitig hervorgebracht, als auch gelähmt haben, wie beispielsweise seine Hassliebe zu Idolen. Wenn wir innerhalb von Widerstandsbewegungen den Sehnsüchten nacheifern, die vom Kapitalismus genährt werden, können wir rasantes Wachstum erzielen, aber auch fatale Fehler begehen, die erst mit der Zeit offensichtlich werden.
Heutzutage vermissen wir in der anarchistischen Bewegung manchmal den dionysischen Spirit, der den Hardcore-Underground zu seiner Hochzeit kennzeichnete: die gemeinsame gestaltgewordene Erfahrung einer gefährlichen Freiheit. So kann Punk uns in unseren heutigen und zukünftigen anarchistischen Experimenten inspirieren: als ein transformatives Ventil für unsere Wut, unser Leid und unsere Freude, ein positives Beispiel für Gemeinschaft und Selbstbestimmung in unseren sozialen Beziehungen, ein Beispiel dafür, dass ein destruktives Verlangen auch kreativ sein kann – und umgekehrt.
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Weiterführendes:
- Auf crimethinc.bandcamp.com wurde sämtliche Musik, bei der CrimethInc. involviert war, kostenlos zur Verfügung gestellt.
- ein weiterführender Artikel über Punk als gefährliche Utopie von uns.
Diese Übersetzung ist ursprünglich in dem Buch ›Writings on the Wall‹ erschienen.
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Der Begriff ›Punk‹ wurde in den letzten viereinhalb Jahrzehnten zur Beschreibung eines breiten Spektrums von Phänomenen verwendet. In dieser Analyse bezieht er sich auf die sozialen und kulturellen Netzwerke, die mit dem Do-it-yourself-Underground verbunden sind, und nicht auf einen bestimmten Musikstil oder eine bestimmte Mode. ↩
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Am 18. Juni 1999, einem globalen Aktionstag, der mit dem 25. G8-Gipfel zusammenfiel, wurde London von einem Reclaim the Streets Carnival Against Capitalism lahmgelegt, was zu massiven Ausschreitungen führte. Die unabhängige Berichterstattung über dieses Ereignis nahm das Indymedia-Netzwerk vorweg, das während der historischen Demonstrationen gegen den WTO-Gipfel in Seattle fünf Monate später entstand und eine neue Ära der antikapitalistischen Organisierung einläutete. ↩
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Wer sich mit dem Innenleben der Musikindustrie auskennt, weiß, dass nur wenige Veranstaltungsorte, weniger Labels und fast keine Musiker*innen mit ihrer Arbeit Geld verdienen. Wohin fließt also das ganze Geld? Vielleicht an die Gerätehersteller*innen. Es gibt unzählige gebrauchte Verstärker zu kaufen, die ›nie den Keller verlassen haben‹ - wie üblich verkaufen uns Kapitalist*innen unmögliche Träume und verdienen dann an unseren Versuchen, sie zu verwirklichen. ↩