Das Viertel Exarchia in Athen, Griechenland, ist weltweit als Epizentrum des kämpferischen Anarchismus bekannt. Seit vielen Jahren besetzen Anarchist*innen und Geflüchtete zusammen Häuser, gründen Wohngemeinschaften und bauen soziale Zentren auf, die eine Vielzahl von soziale Leistungen außerhalb der Kontrolle des Staates erbringen. Seit August hat die neue Regierung eine Reihe von massiven Razzien gegen Migrant*innen, Anarchist*innen und andere Rebell*innen durchgeführt, zuvor hatte sie das Universitätsasyl aufgehoben und eine breite Palette neuer repressiver Maßnahmen und Technologien eingeführt. Jetzt hat die Regierung allen verbleibenden Besetzungen in Griechenland zwei Wochen Zeit gegeben, um Mietverträge mit den Eigentümern abzuschließen oder das gleiche Schicksal zu erleiden. Diese Frist fällt mit dem 6. Dezember zusammen, einem Tag, den Anarchist*innen seit zehn Jahren als Jahrestag der Ermordung des 15-jährigen Alexis Grigoropoulos durch die Polizei und des darauf folgenden Aufstands begehen.
Die neue Regierungspartei Griechenlands, passender Weise Neue Demokratie genannt, wird von einigen Medien als „Mitte Rechts“ im Gegensatz zu völlig faschistischen Parteien wie der Goldenen Morgendämmerung bezeichnet; tatsächlich hat die Neue Demokratie einen Großteil ihrer repressiven und fremdenfeindlichen Agenda direkt von der faschistischen Rechten übernommen, während sie eine neoliberale Agenda zugunsten des internationalen Finanzkapitals verfolgt. Premierminister Kyriakos Mytsotakis, ein angestammter Repäsentant der kapitalistischen Klasse, dessen Vater schon Premierminister war, steht exemplarisch für eine politische Kaste, die versucht, die letzten Garantien zum Schutz der Arbeiter*innen und Armen zu zerstören und gleichzeitig diejenigen, die sich widersetzen, zum Sündenbock zu machen.
Im folgenden Interview beschreibt ein Anarchist in Athen die sich abzeichnende Repression der Regierung und untersucht die Herausforderungen des Kampfes. Dies ist nichts Geringeres als ein Versuch, die Geschichte der Widerstandsbewegungen in Griechenland und auf der ganzen Welt zu löschen und neu zu schreiben – so dass die Daten 17. November und 6. Dezember, an denen die Demonstrant*innen den von der Polizei Ermordeten gedacht haben, stattdessen den Triumph der Unterdrückung markieren -, so dass der Name Black Panthers nicht mehr an die schwarze Organisation zur Selbstverteidigung erinnert, sondern an die Schwarzhemden der Neuen Polizei, die in den U-Bahnen und Touristengebieten patrouillieren. Die griechische Polizei imitiert Demonstranten auf der ganzen Welt und terrorisiert Leute in der Exarchia, indem sie sie mit Laserpointern blendet. All dies unterstreicht das Ausmaß, in dem die Fassade bröckelt: Von Chile bis Hong Kong bricht ein offener Krieg aus, zwischen denen, die regieren wollen, und denen, die nach Freiheit streben.
Wir haben diese Welle der Reaktion erwartet, seit die linke Partei Syriza 2015 an die Macht kam. Ähnliches geschah vor nicht allzu langer Zeit in Brasilien: Die Arbeiterpartei (PT) behielt jahrelang die Macht, indem sie kleine Sozialreformen einleitete, eine neoliberale Agenda verfolgte und gegen die sozialen Bewegungen vorging, und so schließlich die Bedingungen zu schaffen, unter denen die extreme Rechte die Regierung ergreifen und sich an der Bevölkerung rächen konnte, bis hin zum Wahlsieg von Jair Bolsonaro. Während einige Linke dies als Grund sehen, den linken Parteien gegenüber loyal zu bleiben, egal was sie tun, sehen wir in den Ereignissen in Brasilien und Griechenland eine Erinnerung daran, dass keine Wahl eine kollektive horizontale Organisation ersetzen kann, die uns eines Tages in die Lage versetzen könnte, dem Staat entgegenzutreten.
Die Repression in Griechenland gibt uns die Möglichkeit, die Wirksamkeit der derzeitigen anarchistischen Taktiken und Strategien in einem Kontext, in dem viele tausend Menschen sie anwenden, neu zu bewerten. Wir sollten den griechischen Anarchist*innen nicht die Verantwortung dafür geben, dass sie diese Unterdrückung erleben – die Geschichte ist noch nicht vorbei, und wie in Chile kann dieses Vorgehen die Bewegung gegen den Staat letztlich erweitern und vertiefen. Man könnte höchstens annehmen, dass diese Welle der Repression die Schwierigkeiten veranschaulicht, heute ein festes Territorium zu verteidigen. Wenn Regierungen um ihre Stabilität fürchten, werden sie so hart wie möglich zuschlagen. Das Zeitalter des Waffenstillstands ist vorbei. In den kommenden Jahren wird es unmöglich sein, Zonen der Autnonomie zu verteidigen, ohne immer größere Aufstände gegen die Autorität loszutreten.
Die internationale Solidarität ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Wir fordern alle auf, über die Ereignisse in Griechenland auf dem Laufenden zu bleiben, die Inhaftieren dort zu unterstützen und Solidaritätsaktionen an den griechischen Botschaften und anderswo durchzuführen.
Es folgt das Interview.
Riot-Cops bewachen die US-Botschaft und kesseln anarchistische Demonstrant*innen am 17. November.
Zuletzt sprachen wir im August, was ist seit dem passiert?
Seit August hat der griechische Staat die allgemeinen Erwartungen übertroffen. Es ist schwer zu sagen, wo man anfangen soll, um die Vorfälle von Brutalität und Terror aufzulisten, die in den letzten drei Monaten die anarchistische Bewegung, die ins Visier geratenen Minderheiten und all die Ausgeschlossenen oder im Widerspruch zur neuen Regierung stehenden getroffen haben.
Was als nächstes passiert, wird sicherlich die bereits eingetretene intensive Repression übersteigen. Jeden Morgen wache ich auf und lese die neuen Nachrichten, eine weitere Besetzung wurde geräumt, eine weitere Person geschlagen oder verhaftet. Wir sehen eine neue Repressionskampagne, in der sich eine ermutigte Rechte für die Jahre unter einer linken Regierung rächen will, wobei sie sich ironischerweise auf diejenigen konzentriert, die außerhalb und gegen die Syriza-Regierung waren. Syriza führte auch Repressionen durch, griff aber auf eine komplexere, irreführende und indirekte Strategie zurück.
Einige ältere Anarchist*innen beschreiben das, was jetzt geschieht, als nichts anderes als eine Rückkehr zu den Tagen vor Syriza. Doch selbst diejenigen, die seit dem Wiederaufleben der anarchistischen Bewegung in Griechenland in den 80er Jahren dabei sind, geben zu, dass dies alle früheren Repressionswellen seit der rechtsextremen Militärjunta, die Griechenland von 1967 bis 1974 regierte, übersteigen könnte.
Der Staat schießt aus allen Rohren. Er versucht, die anarchistische Bewegung zu zerstören, aber er versucht auch, die verbleibenden Freiheiten aufzuheben, die Griechenland im Vergleich zu anderen westlichen Staaten einzigartig gemacht hat. „Recht und Ordnung“ ist das Banner, unter dem diese Regierung diese Racheaktion durchführt.
Die Polizei verprügelt und verhaftet Jugendliche.
Es könnte schlimmer sein. Diese Art von staatlicher Gewalt ist in den Vereinigten Staaten die Regel; in anderen Teilen der Welt findet eine viel brutalere Unterdrückung statt. Ich möchte lediglich über die Situation in Griechenland in diesen dunklen Tagen berichten, insbesondere in Athen. Ich bekräftige meine Solidarität mit den Kämpfen, die sich von Chile bis Hongkong als Reaktion auf die kapitalistische Umstrukturierung in der ganzen Welt entwickeln. Ich hoffe, mehr Solidarität zu wecken und dafür zu sorgen, dass die Geschichte dessen, was hier geschieht, nicht ungeschrieben bleibt.
Am 20. November hat das so genannte „Ministry of Citizen Protection“ offiziell alle in Griechenland verbliebenen Besetzungen innerhalb von fünfzehn Tage zum verlassen aufgefordert ansonsten würden sie gewaltsam geräumt. In der Erklärung fordern sie die Besetzer*innen auf, sich mit den Eigentümer*innen in Verbindung zu setzen, um Mietverträge abzuschließen, und behaupten, dass Migrant*innen in „Inlandsunterkünfte“ verlegt würden.[Heute haben die Medien eine Karte der bedrohten Besetzungen veröffentlicht.] Während die meisten besetzten Gebäude im Besitz des Staates sind, und selbst in Fällen, in denen die Eigentümer keine Schritte unternommen haben, um die Besetzer*innen zu vertreiben, haben Regierungsbeamt*innen sie unter Druck gesetzt oder Rechtfertigungen für Räumungen fabriziert, wie z.B. Anschuldigungen wegen Drogenhandels oder Waffenherstellung. In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Squats eine strenge Anti-Drogenpolitik verfolgen und sich in Anbetracht der Gefahr unmittelbar bevorstehender Überfälle um die Risiken der Waffenherstellung sehr wohl bewusst sind, sind diese Anschuldigungen offensichtlich unehrlich. Solche Fabrikationen liefern auch Ausreden, um Squats wie Lelas, die seit über 20 Jahren besetzt sind, zu räumen, unabhängig davon, ob es Druck von ihren Besitzer*innen oder genaue Beweise für illegale Aktivitäten gibt. Nach den von der Neuen Demokratie ernannten Staatsanwält*innen stellen auch die Wohnschutzgesetze kein Hindernis mehr für das derzeitige Regime dar.
Was die „Inlandsunterkünfte“ für Migrant*innen betrifft, so ist dies eindeutig ein Hinweis auf Internierungslager. Als wir das letzte Interview im August beendet hatten, wurde nur von etwa 150 Migrant*innen berichtet die während der Razzien vom 26. August geräumt wurden. Heute wurden den offiziellen Zahlen zufolge weit über 500 Migrant*innen geräumt. Zu den Squats, in denen Geflüchtete leben, die seit dem 26. August geräumt wurden, gehört die 5th High School von Athen in Neapoli, eine namenloser Squat am Rande von Omonia, das Hotel Oneiro Squat in Exarchia und der Clandestina Squat in Exarchia.
Die Menschen, die vom Staat aus diesen Besetzungen entführt wurden, wurden in Haftanstalten gebracht oder in Internierungslager fernab der Öffentlichkeit verschleppt. Viele Menschen wurden wegen der Überbelegung der Lager von diesen abgewiesen, sie sind nun obdachlos und dadurch verwundbar gegenüber Menschenhandel und Angriffen von Faschist*innen und der Polizei. Die Unterbringung in diesen Lagern ist offenbar kaum besser. Viele Geschichten sind jedoch ungehört geblieben; die Kommunikation mit vielen wurde unterbrochen.
Einige der aus Clandestina Vertriebenen weigerten sich, in einen Bus zu einem dieser Lager zu steigen; die Polizei stahl ihre Papiere und zwang sie, im strömenden Regen 10 Meilen zurückzulegen, ohne zu wissen, wohin sie gehen würden. Immer häufiger stiehlt die Polizei die Dokumente von Geflüchteten oder Immigrant*innen, die sich widersetzen, wodurch zukünftige Polizeikontakte erschwert werden. Die Bedingungen in den Lagern sind schlecht, sie sind überfüllt und unhygienisch; faschistische Gruppen haben sie mit Steinen beworfen und Schweine-Barbecues außerhalb der Lager organisiert, in der Hoffnung, diejenigen zu beleidigen, von denen sie glauben, das sie Muslime sind. Diese Woche veröffentlichte die Regierung einen Plan, um die Verfahren zur Aufnahme von Geflüchteten weiter zu verkürzen und gleichzeitig neue Internierungslager in verlassenen Schulen oder ungenutzten Flächen weit weg von Städten und Touristenzielen zu finanzieren.
Am 2. November überfiel und räumte die Polizei die 14-jährige Besetzung, die als Vancouver bekannt ist und sich in der Nähe der University of Economics von Athen befindet, und verhaftete vier Personen, platzierte Drogen auf dem Gelände, zerstörte das Innere des Hauses, entführte mehrere Hunde und verschloss das Gebäude mit den darin gefangenen Katzen. Nach dem Hungerstreik eines Mitglieds einer Tierbefreiungsgruppe und gesetzlichem Druck erlaubten die Bullen einer Person, die Ziegel des Gebäudes zu erklimmen und die Katzen freizulassen, die die Polizei zur Strafe verhungern lassen wollte. Vancouver wurde von einer Vielzahl von Anarchist*innen sehr geschätzt und überschritt einige der Spaltungen, die die Bewegung hier heimgesucht haben. Es war auch die erste anarchistische Besetzung, die geräumt wurde.
Eine Antwort auf die Räumung des Vancouvers.
Außerhalb von Athen, in Larisa, wurde der Palmares-Platz geräumt. In Thessaloniki, wo die Faschist*innen bei nationalistischen Demonstrationen um den Namen Mazedonien im Januar 2018 die besetzte Libertatia niedergebrannt hatten, waren die Besetzer*innen mit dem Wiederaufbau des Gebäudes fast fertig; die Polizei griff sie an, verhaftete vier Personen und zwang die Bewohner*innen, den Wiederaufbau abzubrechen, weil sie einen historischen Ort „zerstörten“.
Ursprünglich erklärte die Regierung, dass alle Besetzungen bis zum 17. November geräumt werden sollten – dem Jahrestag jenes Tages im Jahr 1973, an dem die griechische Militärjunta die Polytechnische Universität in Exarchia mit einem Panzer angriff und Dutzende ermordete. Nun, da diese Frist abgelaufen ist, kündigt eine neue Erklärung der Regierung an, dass alle Besetzungen bis zum 5. Dezember, einen Tag vor dem Jahrestag des Mordes an Alexis Grigoropoulos, einem unbewaffneten 15-Jährigen, in Exarchia, geräumt werden. Beide Daten wurden eindeutig als Provokationen gewählt und bekräftigen ausdrücklich die Morde an jungen Zivilisten, die der griechische Staat begangen hat, und die darauf abzielen, die Bewegungen zu unterdrücken, die an sie gedenkt.
Die Regierung hat der Polizei rasch viele zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt, um die Migrant*innen in Athen anzugreifen und die anarchistische und Besetzer*innen Bewegungen zu zerschlagen. Syriza hatte die Delta-Polizei suspendiert, jene marodierende Motorradtruppe, die früher Demonstrant*innen in Exarchia schlug und terrorisierte, und sich stattdessen auf die MAT-Einheiten der Polizei gestützt. Jetzt wurden 300 neue Delta-Polizisten unter dem neuen Namen OPKE eingestellt, was mit „Kriminalpräventions- und Repressionsteams“ übersetzt werden kann. Sie sind nun offiziell wieder auf der Straße.
Die Neue Demokratie hat auch eine neue Polizeiteinheit innerhalb der U-Bahnen und Touristengebiete Athens geschaffen, die wegen ihrer schwarzen Uniformen schändlicherweise die Black Panthers genannt wird. Die Transportbestimmungen und die Durchsetzung der Fahrpreise waren bereits strenger geworden; jetzt gibt es allein aus diesem Grund eine Einheit der Polizei. Die MAT-Bullen, die Demonstrationen unterdrückt, Wache hält, um zu verhindern, dass geräumte Squats wieder besetzt werden, Demonstrationen angreift und jeden Tag das Viertel von Exarchia umgibt, wurde ebenfalls um weitere 1500 Mitglieder erhöht. Diese Zunahme war erstmals am 17. November sichtbar.
Die Bullen auf den Straßen sind sichtbar ermutigt. Ich habe gesehen, wie Cops Frauen offen schikanieren; sie bedrohen jeden, von dem sie vermuten, dass sie/er ihr Feind sein könnte. Ihre Brutalität ist intensiv und erstaunlich zufällig. In grotesker Aneignung der Taktik der Demonstrant*innen in Hongkong und Chile (die Laserpointer verwenden um die Riot-Cops auf Abstand zu halten) verwenden sie diese um Zielpersonen auf den Straßen zu makieren; wenn sie nichts Besseres zu tun haben, leuchten sie auch manchmal einfach in die Augen der Menschen. Das ist mir und anderen Leuten, die ich kenne, passiert.
Die Nähe zu einer Auseinandersetzung, unabhängig von einer Teilnahme daran, ist Grund genug für Polizist*innen, dich mit körperlicher Gewalt anzugreifen; sie sind keinem rechtlichen Risiko ausgesetzt und versuchen, maximale Gewalt gegen die allgemeine Bevölkerung auszuüben. Einzelne Amtsträger*innen sind stolz auf die Macht, die ihnen dafür eingeräumt wird. Ein bekannter Anarchist wurde kürzlich auf dem Platz von Exarchia wegen einfachen Sitzens verhaftet. Die Polizei zog ihm dann seine Kleidung herunter und hat ihn sexualisiert angegriffen, sie sagten ihm: „Die Junta ist zurück“.
Auch auf Ebene der Justiz wurden erhebliche Veränderungen bei der Repression vorgenommen. So hat die Regierung beispielsweise die Mindeststrafe für diejenigen, die wegen Terrorismus verurteilt wurden, von 17 auf 22 Jahre verlängert, während sie gleichzeitig die Bedingungen für die Freilassung und die Strafen für Bewährungsverstöße verschärft hat. Die Strafen für Unruhen und die Verwendung von Molotow-Cocktails wurden verschärft; erweiterte Gesetze gegen Hausfriedensbruch erlassen, die sich speziell gegen Proteste richten, die „rechtswidrig“ in Gebäude eindringen – ein direkter Angriff auf Gruppen wie Rouvikonas, die Bürogebäude betreten, wenn sie gegen Arbeitsbedingungen oder Ausbeutung durch Chefs oder Arbeitgeber*innen protestieren. Es gibt Bemühungen, diejenigen zu bestrafen, die sich für den Widerstand einsetzen oder über ihn berichten, wobei im Wesentlichen radikale Inhalte selbst kriminalisiert werden sollen. Die neue Regierung hat zum Ziel, die Apparate und Praktiken der staatlichen Repression in Griechenland zu modernisieren, so dass sie mit denen der Vereinigten Staaten vergleichbar sind. Die zum Ministerium für Zivilschutz ernannten Beamt*innen haben sich mit verschiedenen ausländischen Behörden, einschließlich des FBI, beraten. Sie investieren in neue Technologien wie Drohnen und digitale Überwachung.
Die Polizei hat zusätzliche Methoden der Einschüchterung und Überwachung mit voller Gewalt wieder aufgegriffen. Bullen tauchten vor Demonstrationen bei mutmaßlichen Anarchist*innen zu Hause auf, um sie einzuschüchtern – eine Taktik, die sie unter Syriza einführten, aber weniger oft und weniger intensiv anwendeten. Anarchist*innen haben GPS-Ortungsgeräte an ihren Fahrzeugen gefunden und Kameras vor ihren Häusern entdeckt, die in Autos stationiert waren. Vor zwei Nächten bemerkten Anarchist*innen in Exarchia ein Fahrzeug mit schlecht getarnter Überwachungsausrüstung, das vor den Büros von Class Counterattack und dem Mikro Cafe geparkt war. Als sie dorthin gingen, um das Auto zu fotografieren, schwärmten Dutzende von Riot-Cops durch das Gebiet und eskortierten zwei Undercover-Bullen, als sie das Fahrzeug wegfuhren.
Premierminister Kyriakos Mitsotakis voller Schadenfreude über die neuen Repressionsmöglichkeiten.
Am 8. November führte die Polizei Anti-Terror-Razzien in über einem dutzend Häusern durch, welche angeblich die Wohnungen von Anarchist*innen waren, die mit der Gruppe „Revolutionäre Selbstverteidigung“ in Verbindung stünden. Die Behörden behaupten, eine Reihe von Waffen beschlagnahmt zu haben, darunter Waffen, die bei früheren Angriffen gegen die mexikanische Botschaft und das Hauptquartier der PASOK, der sozialistischen Partei, eingesetzt wurden, wo sich eine der Hauptstationen der MAT-Bullen in Exarchia befindet. Die Polizei hat bei diesen Hausdurchsuchungen drei Personen verhaftet; es ist wahrscheinlich, dass sie mit den neuen Strafmaßnahmen bei der Verfolgung dieser Personen experimentieren werden. Der neue Premierminister hat damit geprahlt, dass diese Verhaftungen ein Sieg für den Staat sind.
Nach der formalen Abschaffung des Universitätsasyls hat die Polizei Universitäten wie die School of Economics in Kipseli betreten, um die besetzten sozialen Zentren, die sogenannten Stekis, zu räumen. Die Polizei bedroht auch die Stekis, die sie noch nicht geräumt hat und drängt die Universitätsverwaltungen dazu, sie auf den Campus zu lassen. Innerhalb der Universitäten wurden rechte Gruppen wie die Jugendpartei der herrschenden Partei Neue Demokratie ermutigt offene gegen Migrant*innen zu demonstrieren sowie Antifaschist*innen, Anarchist*innen und Einzelpersonen anzugreifen.
Riot-Cops betreten die Economics School in Athen.
Demonstrationen finden weiterhin statt, wobei trotz des unerbittlichen Angriffs von allen Seiten kleine Zusammenstöße ausbrechen. Viele erwarteten, dass der 17. November die Zukunft wichtiger Jubiläen anzeigen wird, die Revolutionär*innen und Anarchist*innen genutzt haben, um eine Tradition des Widerstands und der Unruhen zu etablieren.
Der 17. November 1973 markierte das Wiederaufleben der anarchistischen Bewegung im 20. Jahrhundert und die Entstehung von Exarchia als Zone antifaschistischer und polizeifeindlicher Aktivitäten. Die meisten Anarchist*innen haben den Jahrestag des 17. November begangen, indem sie die Polytechnische Hochschule besetzt und das Erbe der von der Polizei Ermordeten geehrt haben. In diesem Jahr gab es auf der tagsüber stattfindenden Demonstration, die an die US-Botschaft vorbeiging – da die USA die Junta unterstützten, um Griechenland nach einem Bürgerkrieg zwischen Linken und Rechten als rechte Festung zu erhalten – zahlenmäßig eine der größten Präsenzen von Anarchist*innen in der Geschichte dieser Demo. Tausende von Anarchist*innen nahmen in zwei Blöcken am Marsch teil. Die Polizei isolierte die größeren der Blöcke vom Rest der Demo, mit Reihen von 500 oder mehr Riot-Cops, die auf beiden Seiten der Demonstrant*innen gingen.
In Erwartung der traditionellen nächtlichen Unruhen um das Polytechnikum in Exarchia hat die Polizei das Viertel vollständig militarisiert. Herumfahrende Gruppen der Delta-Polizei agierten in zehner Gruppen, während Hunderte, wenn nicht Tausende von Riot-Cops das Viertel umstellten. Wenn in der Vergangenheit solche Operationen stattfanden, gingen die Anarchist*innen auf die Dächer von Exarchia, um die Polizei zu bekämpfen. In diesem Jahr, ausgestattet mit Drohnen und neuen Anti-Terror-Maßnahmen, die es der Polizei ermöglichen, Gebäude ohne Rücksicht auf das Gesetz zu betreten, verhaftete die Polizei sechs Personen und beschuldigte sie, Angriffe von den Dächern aus zu planen.
Trotz dieses schrecklichen Gehabe des Staates, trotz der gegen sie bestehenden Chancen, nahmen einige hundert mutige Personen den Platz von Exarchia ein, um zu versuchen, sich durch die Reihen der Polizei zu kämpfen, um Zugang zum blockierten Polytechnikum zu erhalten. Zusätzliche eingesetzte Gruppen der Riot-Cops und der Delta-Polizei bombardierten sie mit Tränengas und Elektroschockgranaten. Eine Reihe von Videos zeigt Bullen, die willkürlich Menschen auf grausame Weise verprügeln. Viele Menschen wurden schwer verletzt und stehen vor schweren Anklagen. Wir wissen von 28 Verhaftungen in Athen am 17. November – 6 während präventiver Tagesmaßnahmen und 22 während nächtlicher Auseinandersetzungen. Mindestens 31 weitere Menschen wurden in ganz Griechenland verhaftet, als es in Thessaloniki, Patras, Heraklion und anderen Städten zu Demonstrationen kam bei denen auch Anarchist*innen präsent waren. Am nächsten Tag griff die Polizei eine in Solidarität mit den Festgenommenen organisierten Demo brutal an.
twitter.com/anthony_pls/status/1196140163736449024
Nach einem Angriff auf ein Motorrad eines Delta-Cop vor zwei Wochen griff die Polizei eine von Anarchist*\innen frequentierte Bar an; da sie es nicht schafften die Bar zu betreten, wandten sie sich gegen die Menge, die sich versammelt hatte und das Geschehen beobachtet, und streiften dann durch die Nachbarschaft, um nach dem Zufallsprinzip Menschen zu verhaften und zu schlagen. Der Staat beauftragt speziell die reaktionärste Bullen mit der Terrorisierung von Exarchia, meist unsichere Männer von außerhalb Athens, von denen viele in die neonazistische Gruppe Golden Dawn verwickelt sind. Für sie ist dies ein persönlicher Kampf.
Welche anderen Faktoren prägen die Situation neben der offenen staatlichen Repression?
Während die neue Regierung ihre Basis ausnutzt, indem sie Anarchist*innen und Migrant*innen als Sündenböcke für die Wut und das Elend Griechenlands in der Zeit nach der Krise benutzt, führen die Kapitalist*innen unter dem Deckmantel von „Recht und Ordnung“ einen Angriff auf das ganze Land durch. Die orthodoxe Kirche und die Befürwort*innen der Junta sind seit langem Kräfte in der griechischen Gesellschaft; aber dank neuer Möglichkeiten für die Kapitalist*innen, technologischem Fortschritt und dem Exodus von Jugendlichen die auf der Suche nach Arbeit ins Ausland gegangen sind haben die Reaktionären Kräfte die Oberhand gewonnen.
Als Ergebnis der Politik des goldenen Passes des griechischen Staates, welche besagt das diejenigen, die Investition von 250.000 Dollar oder mehr tätigen, automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen, kaufen wohlhabende aus den USA, China, Israel und Russland, die die EU-Bürgerschaft anstreben, einen Großteil der griechischen Immobilien auf. Diese Entwicklung hat sich seit der Krise im Jahr 2008 vollzogen, hat sich aber als Reaktion auf die Wahl der unternehmensfreundlichen Regierung der Neuen Demokratie beschleunigt.
Wie wir schon im vorherigen Interview besprochen haben, hat die Invasion von Airbnb und im Ausland lebenden Teckies, die in der Lage sind, aus der Ferne zu arbeiten, die Mieten durch das Decke gehen lassen und den Wert von Immobilien überall erhöht. Wie in London, Berlin, San Francisco, New York und Hongkong hat dies diejenigen vertrieben oder verarmt, die den Ruf dieser renommierten Städte bestimmen. Vor allem in Athen wird neben der Gentrifizierung auch die Kultur des Zentrums kommerzialisiert – darunter Graffiti, Cafés, das Essen und andere Tradition. Wir werden in einen Zoo für diejenigen verwandelt, die es sich leisten können, das „Athenerlebnis“ zu bezahlen. Exarchia ist nur ein Beispiel für ein viel weiter verbreitetes Phänomen.
In diesem Zusammenhang sind die Räumungen von Besetzungen und die Bemühungen um die Befriedung von Vierteln nicht nur eine Frage der Wiederbehauptung von „Recht und Ordnung“ – sie sind auch ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Umstrukturierung. Früher standen die geräumten Gebäude jahrelang leer, aber jetzt gibt es Gentrifizierer*innen, die nur darauf warten, die Kontrolle über sie zu übernehmen. Die Polizei ist nur der Punkt am Ende des Speers; der Stoß dahinter ist der Druck, Griechenland an die globale kapitalistische Klasse zu versteigern, viele Einheimische weiter zu verarmen und gleichzeitig die benötigten Kompliz*innen zu belohnen.
Die neue Regierung hat sehr schnell die Steuern für die Reichen gesenkt und sich darauf fokussiert ihre Interessen zu wahren. Sie verkauften kürzlich einen großen Teil des größten Hafens Athens an die chinesische Regierung und vereinbarten den Bau einer neuen amerikanischen Militärbasis in der Stadt Alexanderpouli an der Grenze zur Türkei. Alles steht in Griechenland zum Verkauf, wenn es um die Privatisierung und Modernisierung geht.
Ironischerweise leitet der Staat, während er im Namen von „Recht und Ordnung“ gegen Anarchist*innen und Migrant*innen vorgeht, die Drogenepidemie weiterhin in Vierteln wie Exarchia und das von Migrant*innen dominierte Omonia-Viertel. Zum Teil hilft ihnen das, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass anarchistische und migrantische Squats mit dem Drogenhandel und der allgemeinen Kriminalität verbunden sind, obwohl sie in Wirklichkeit eine der wichtigsten Alternativen zu ihnen darstellen. In diesem Zusammenhang dient die Drogenepidemie der Aufrechterhaltung des Status quo. Da sie einen Vorwand für Repression gegen diese Sündenböcke liefert, hat die Regierung auch keinen wirklichen Anreiz sie aufzuhalten. Wie das Mitglied der Neuen Demokratie im Parlament Thanos Plevris1 im Fernsehen sagte, als er seine Polizeistrategie erklärte,
“Wir wollen das Exarchia zur normalen Kriminalität zurückkehrt.”
Trotz weit verbreiteten Nationalismus und Rassismus ist Griechenland seit langem als laxe Gesellschaft im Vergleich zu Nordeuropa oder Nordamerika bekannt. Es ist bekannt für das Trinken im Freien, das Rauchen in Lokalen und die uneinheitliche Strafverfolgung. Die Normen der Europäischen Union verbieten eigentlich das Rauchen im Inneren; im ganzen Land gibt es neben Tischen mit Aschenbechern auch „Nichtraucher“-Schilder. Jetzt verhängen die Behörden Bußgelder und drohen die Lizenzen für das Rauchen in Lokalen zu entziehen; vermutlich wird der Staat dies nutzen, um Lokale ins Visier zu nehmen, die der Polizei feindlich gesinnt sind oder bei denen der Verdacht besteht, das sich dort regelmäßig Anarchist*innen und Migrant*innen aufhalten.
Zum ersten Mal seit fünf Jahren hat die Polizei eine Person verhaftet, weil sie den Fahrpreis in der U-Bahn nicht bezahlt hat. Die Polizei überfiel einen Nachtclub im Gazi-Viertel von Athen in einer Art vice-mäßigen Angriff bei dem 300 Partygänger*innen mit vorgehaltener Waffe von schwarzgekleideten Polizist*innen nach Drogen durchsucht wurden. Was vor sich geht, ist nicht nur ein politischer Krieg gegen Migrant*innen und Anarchist*innen, sondern auch ein kultureller Krieg gegen die „mediterrane“ Freiheit, die Griechenland durch den langsameren Modernisierungsprozesse geprägt hat2. Die rigide Durchsetzung einer sterilen Ordnung, die Länder wie die USA prägt, ist der Standard, den die Neue Demokratie Griechenland aufzwingen will.
Kurz gesagt: Neoliberalismus, Technokratie, Kirche und Tradition. Das ist es, was die Regierung der Neuen Demokratie unter „Recht und Ordnung“ versteht.
Die griechische Polizei beschlagnahmt einen Container voller Bücher auf dem Exarchia Platz.
Wie effektiv ist die staatliche Repression bisher?
Die griechischen Anarchist*innen haben sich viele Dinge mit Blut verdient. Sowohl das Exarchia, wie wir es kennen, als auch die griechische anarchistische Bewegung von heute wurden durch Blut und Courage begründet. Anarchismus ist wie ein Grundnahrungsmittel für die griechische Gesellschaft, das niemals ausgelöscht werden wird. Im Verhältnis zur Bevölkerung glaube ich nicht, dass es irgendwo auf der Welt eine größere anarchistische Bewegung gibt. Während die Zahl der Anarchist*innen, Anti-Autoritären und Autonomen auf einem historischen Höchststand ist, zielt die Repression auf die Bewegungsinfrastruktur ab und verändert die Bedingungen des Spiels effektiv und schnell.
Ein Wort zu den verschiedenen Formen der Repression hier: Neu sind die technologischen Fortschritte bei der Polizeiarbeit in Griechenland, einschließlich Überwachung, härterer Anti-Terror-Maßnahmen und strengerer Strafen. Die Polizei und das Gerichtssystem in den Vereinigten Staaten sind rücksichtslos bei ihren unerbittlichen Ermittlungen, vorsätzlichen Repressionen und gerichtlichen Strafen; ebenso tötet die US-Polizei weitaus mehr Menschen als die griechische Polizei – insbesondere Farbige und Arme. Andererseits kann die Polizei hier als Reaktion auf Demonstrationen Menschen willkürlich schlagen3. Beide Systeme sind brutal; aber bisher war die griechische Polizei ungeschickter und wohl auch etwas weniger systematisch.
Es ist wichtig, sich an die Geschichte Griechenlands zu erinnern, um zu verstehen, wie der Staat hier funktioniert. Seit dem Sturz der Junta ist die anarchistische Bewegung in Griechenland nicht mehr mit den extremen Repressionen konfrontiert, die in den USA in der McCarthy-Ära zu beobachten waren, als das FBI gegen jede/n mit linken oder anarchistischen Ansichten durchgriff. Der Verzicht auf jegliche Vortäuschung von Demokratie und gesetzlichen Rechten erfolgt plötzlich und schnell. Das hat viele Menschen hier überrascht.
Doch wenn man bedenkt, was in den letzten zwei Jahrzehnten an anderer Stelle geschehen ist, von der Militarisierung der Polizei bis zum Abbau der Sicherheitsnetze, die die Grundlage des vorherigen Sozialvertrages bildeten, scheint es unvermeidlich, dass dies geschehen würde – insbesondere angesichts der rasanten Veränderungen, die heutzutage weltweit stattfinden. Auf jeden Fall können wir hoffen, dass der Kampfgeist, der aus so vielen Kampferfahrungen gewachsen ist, sich an die neuen Bedingungen letztendlich anpassen, über sie hinauswachsen und sie überwinden wird.
Warum glaubst du, dass es dem Staat möglich war, diesen Repressionsschlag so durchzuführen? Ist die anarchistische Bewegung isoliert? Was machen andere Menschen in Griechenland gerade? Worauf konzentrieren sich die Menschen außerhalb der anarchistischen Bewegung?
Die anarchistische Bewegung war darauf vorbereitet, dass mit der Wahl der ND ein großer Wandel bevorsteht. Allerdings erwarteten nur wenige eine solche Strategie der verbrannten Erde. Die Bewegung ist hier ganz anders als in den USA. Im Verhältnis zur Bevölkerung ist sie riesig, wie ich bereits sagte; sie ist jedoch in gewisser Weise isoliert, was für unsere Kämpfe wenig hilfreich sein könnte.
Anarchist*innen und die Linke haben ein angespanntes Verhältnis. Die Linke hier ist offen autoritär und an vielen Aspekten des gegenwärtigen Systems mitschuldig. Obwohl die Aufhebung des Universitätsasyls theoretisch Anarchist*innen und Linke dazu anregen könnte, sich gegen einen gemeinsamen Feind zu vereinen, ist es sehr schwer vorstellbar, dass sich die Linken und die Anarchist*innen gegen die Rechten und die Institutionen des Staates vereinen. Im Gegenteil, die Linke will etwas vom Staat zurückfordern, und ihn nicht zerstören. Das Problem dabei wurde offensichtlich, als viele Menschen 2012 auf dem Höhepunkt ihres Potenzials aufhörten, an Massenmobilisierungen teilzunehmen in der Erwartung, dass Syriza an die Macht kommen und die Dinge in Ordnung bringen würde; als Folge dieser Demobilisierung waren die Menschen nicht bereit, Syriza zu zwingen, ihre Versprechen einzuhalten, was zur Ernüchterung beitrug, die die Machtübernahme der Neuen Demokratie ermöglichte.
Gleichzeitig gibt es andere Fragen im Zusammenhang mit der Isolation der Bewegung und den Abgründen zwischen den Gruppen innerhalb der Bewegung selbst.
Ein Problem ist, dass die Bewegung mit einer ausreichenden Anzahl von Personen rechnen konnte, um sich selbst zu versorgen, was zur Folge hat, dass sie auch isoliert bleiben konnte. Darüber hinaus haben die Menschen in den letzten Jahren zwar eine große Menge an Infrastruktur aufgebaut, aber es sind auch viele Spaltungen als Folge von Streitigkeiten entstanden, da die Menschen in Streitfällen ihrer Versammlung, Gruppe oder Team treu geblieben sind, ohne Wege zur Lösung zu finden. Dies geschieht überall auf der Welt; leider hat es dem Staat in Griechenland ermöglicht, direkt in die „Eroberungsphase“ seiner „Divide and Conquer“-Strategie zu springen und zu sehen, wie groß die Spaltung bereits ist.
In den Vereinigten Staaten scheint es aufgrund der Vielfalt der Gesellschaft und des vergleichsweise geringen Anteils sich selbst Anarchist*innen bezeichnender in der Bevölkerung so zu sein, dass Anarchist*innen gezwungen sind, Affinitäten mit anderen wütenden Menschen oder kämpfenden Gemeinschaften zu entdecken, die möglicherweise nicht genau die gleiche Identität oder politische Zugehörigkeit beanspruchen. Das ist eine gute Sache.
Natürlich gibt es in Griechenland Bemühungen, zur Zusammenarbeit mit Geflüchteten, Immigrant*innen, Griech*innen die exkludiert sind oder zu Arbeiter*innenklasse gehören, und diese Versuche haben schöne Beziehungen und Projekte geschaffen. Dennoch neigen einige Anarchist*innen dazu, sich ihnen wie fremden Subjekten zu nähern und nicht wie Gefährt*innen, mit denen sie gemeinsam etwas aufbauen können. Ausnahmen gab es beispielsweise bei der Organisierung mit Migrant*innen, die Verbindungen zu Anarchist*innen knüpften, als diese sich bemühten, sie während der so genannten „Flüchtlingskrise“ zu unterstützen. Dennoch bleiben Trennungslinien bestehen, die eine weitere Ausbreitung der Revolte verhindern können.
Trotz dieser Probleme ist die anarchistische Bewegung sehr stark. Die Menschen sind in diesem Moment nervös, aber Angst ist ein Hindernis, das jeder Kampf überwinden muss. Unabhängig von dieser Angst organisieren sich die Menschen weiter und versuchen, Spaltungen und externe Hindernisse Stück für Stück zu überwinden. Erschöpfung und Zynismus können unvermeidlich sein, wenn der Staat einen hart trifft und einem alles wegnimmt, aber die anarchistischen Communities Griechenlands werden nie ausgelöscht werden. Zu viele Menschen hier haben für die Anarchie gekämpft, gelitten und in ihr Sicherheit und Gemeinschaft gefunden.
Auch wenn wir unsere Schwächen, Fehler und das was wir besser machen können erkennen sollten, liegt die Schuld für die Repression beim Staat und seinen Marionetten. Im Moment haben die Polizei und ihre Befehlsgebenden alle Karten zu ihren Gunsten; sie sind Feiglinge, die ihre teuren Waffen in der Öffentlichkeit zur Schau stellen können, ohne Gefahr von rechtlichen Konsequenzen. Unsere Antwort, unser Widerstand, gründet sich auf die Stärke unseres Rückrades und den Mut unserer Herzen. Der Staat hat derzeit den Vorteil auf seiner Seite, aber ich denke nicht, dass wir uns dafür die Schuld geben sollten; da sich der Konflikt weltweit verschärft, ist zu erwarten, dass die staatliche Strategie hier eskalieren wird. In Griechenland werden neue Elemente der Revolte auftauchen, wenn wir in die Enge getrieben werden.
Die Unterdrückung, die jetzt stattfindet, ist in unserer Erfahrung einzigartig, aber sie kann unseren Geist nie zerschlagen. Sie schlagen einen Löwen in einem Käfig; irgendwann wird der Löwe ausbrechen.
Das anarchistische steki in der Economics School.
Was steht bis Dezember auf dem Spiel? Welche Gefahren gibt es? Und gibt es neue Möglichkeiten, wenn die Leute die Strategien wechseln?
In Erwartung des Jahrestages der Ermordung von Alexis Grigoropoulos am 6. Dezember denke ich, dass die Polizei versucht, ein Blutbad anzurichten. Bei einer Dinnerparty in einem Dorf vor dem 17. November hörte man einen Polizeikommissar sagen, dass er überrascht wäre, wenn die Polizei an diesem Tag niemanden töten würde. Sie konnten am 17. November niemanden töten, obwohl Videomaterial von den Schlägen ihre Bereitschaft zeigt, es zu tun – also wer weiß, was sie am 6. Dezember versuchen werden.
Nach dem, was ich am 17. November gesehen habe, denke ich, dass sie die gewaltsame Unterdrückung verdoppeln werden. Sie werden mit voller Kraft da sein; sie werden präventive Verhaftungen vornehmen und jeden auf den Straßen von Exarchia in dieser Nacht schlagen. Ich denke, sie werden eine Demonstration zum Gedenken an Alexis die tagsüber stattfindet zulassen, um die Fassade der Demokratie zu erhalten, aber wie am 17. November werden sie alle Anarchist*innen kesseln und brutal reagieren, wenn jemand versucht, aus der Reihe zu treten.
Blut auf den Straßen Athens in der Nacht vom 17. November.
Ich weiß nicht, was der 6. Dezember bringen wird, aber ich weiß, dass die Erinnerung an Alexis und die Art und Weise, wie sein Tod das Leben so vieler Generationen beeinflusst hat, viel stärker ist als die eigennützigen Pläne von Politiker*innen wie Mytsotakis, die mit dem Silberlöffel im Mund geboren wurden.
Insgesamt denke ich, dass der Zweck der Mittel, die sie in die Repression investieren, vor allem darin besteht, die Basis der Wähler*innen der Neuen Demokratie von den umfassenderen wirtschaftlichen und sozialen Fragen abzulenken, die heute in Griechenland anstehen. Ich denke, dass die Ressourcen des Staates so sehr darauf ausgerichtet sein werden, die anarchistische Bewegung zu zerschlagen und Migrant*innen zu foltern, dass die griechische Zivilbevölkerung irgendwann wieder erkennen wird, dass sich die Prekarität, der sie ausgesetzt sind, nicht verändert hat. Dies ist keineswegs garantiert – wie wir bei den Trump-Anhänger*innen in den Staaten sehen, bietet der völlige Faschismus einige sehr effiziente Methoden der Täuschung und Kontrolle.
Ich denke, dass die Bewegung in diesen dunklen Tagen härter kämpfen muss, aber ich glaube, dass wir auf lange Sicht durch diese Herausforderungen stärker werden. Die Menschen organisieren sich und handeln weiterhin; trotz der Angst sind wir immer noch auf der Straße. Die etwa hundert Menschen, die am 17. November auf dem Platz von Exarchia kleine Zusammenstöße auslösten, waren wie ein David ohne Schleuder, der einem Goliath in einem Panzer gegenüberstand. Doch obwohl sie sich an die Sicherheit ihrer Sofas hätten halten können, entschieden sie sich, auf die Straße zu gehen.
Im Zusammenhang damit sollten wir uns daran erinnern, dass die Polizei am 17. November 1995 alle verhaftet hat; 1996 ist fast nichts passiert. Damals konnte niemand die Explosionen vorhersehen, die während der Olympischen Spiele 2004 und in viel größerem Umfang im Dezember 2008 stattfinden würden, und auch nicht, was jetzt kommen wird.
Noch einmal, was können Menschen außerhalb Griechenlands den Kampf dort unterstützen?
Die neoliberalen Nationalstaaten und die Profiteure, die ihnen zugute kommen, bleiben auf ihrem postindustriellen Kurs und zwingen die Menschheit ihre feudalen Vision auf. Dies geschieht weltweit – von Griechenland bis Chile, von den Vereinigten Staaten bis China. Mehr denn je muss in diesen dunklen Tagen die Solidarität unsere Waffe sein. Wenn du hierher kommen kannst, um Geflüchteten und Immigrant*innen zu helfen, wird das sehr wichtig sein, denn die Ressourcen werden immer knapper werden und die Regierung wird die Bedingungen, die ihnen auferlegt werden, bewusst verschärfen. Auch wenn du nur kommst um volontäre Hilfe zu leisten, ist jede Hilfe für Menschen in diesen katastrophalen Bedingungen ein wichtiger Akt der Solidarität; sie wird den Leuten zeigen, dass die Menschen sie nicht vergessen haben.
Fundraising wird notwendig sein, wenn neue Maßnahmen zur Unterdrückung und Bestrafung hier getroffen werden. Bitte achtet weiterhin darauf, was hier passiert; erlaubt dem Staat nicht, uns von unseren Gefährt*innen auf der ganzen Welt zu isolieren. Auch Demonstrationen vor Botschaften – oder in ihnen – werden helfen.
Vor allem, wie ich bereits im August sagte, ist das Beste, was ihr tun könnt, um die Bewegung in Griechenland zu unterstützen, euch gegen den Staat und den Kapitalismus zu organisieren und ihre Herrschaft zu bekämpfen, wo auch immer du bist und ungeachtet der Chancen. Die anarchistische Bewegung kennt keine Grenzen. Lernt aus unseren Verlusten und werdet stärker. Wir rufen diejenigen auf der ganzen Welt, die unseren Unmut und unser Engagement für die Solidarität teilen, auf, zu handeln. Wir behaupten, dass ihre Unterdrückung, ihre Entfremdung und ihre Gefängnisse diesen Geist niemals töten können.
Unsere Leidenschaft für die Freiheit ist der Kern unserer Solidarität und die Grundlage unseres Kampfes.
Diese Übesetzung ist zu erst anonym auf Indymedia veröffentlicht. Wir haben auf die Schnelle nur wenige Sachen korrigiert. Danke an die anonymen Übersetzerinnen*
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Plevris ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die Politik der faschistischen Partei Golden Dawn in der Neuen Demokratie zum Mainstream geworden ist. Im Jahr 2011 forderte er, dass Griechenland tödliche Gewalt gegen Flüchtlinge anwenden sollte, die versuchen, nach Griechenland zu gelangen und Immigrant*innen den Zugang zu Nahrung, Wasser und Gesundheitsversorgung verweigert werden soll. ↩
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Glaubt es oder nicht, als der Joker-Film herauskam, überfiel die Polizei Kinos, um Ausweise zu überprüfen, und drohte Eltern, die mit ihren Kindern da waren, dass sie eines Tages das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren könnten. ↩
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Dies liegt nicht daran, dass die Polizei in den USA ethischer ist, sondern vielmehr daran, dass es sich um einen traditionellen Aspekt des polizeilichen Verhaltens in Griechenland handelt, auch weil die griechische Polizei nicht dem gleichen Rechtssystem unterliegt wie in den USA. Es ist sehr ungewöhnlich, hier gegen die Bullen zu klagen, und es wäre unwahrscheinlich, dass eine solche Anklage ernst genommen würde, wenn die Schläge während einer Demonstration verteilt wurden. Selbst wenn eine Klage erfolgreich wäre, wäre die Entschädigung viel geringer als das, was man in einer Klage gegen die Polizei in den Vereinigten Staaten gewinnen könnte. ↩