Im August 2024 erschütterte eine Protestwelle Indonesien, die scheinbar eine Reaktion auf politische Machenschaften hinsichtlich der Änderung der Nachfolgeregelungen für den Präsidenten Joko Widodo, im Volksmund bekannt als Jokowi, darstellt. Bei uns sind nur sehr wenige Informationen über diese Proteste bekannt geworden. Um einen Eindruck von den tieferliegenden Problemen zu bekommen, haben wir uns an anarchistische Teilnehmer der Protesten aus verschiedenen Teilen Indonesiens gewandt.
Wir interviewten Frans Ari Prasetyo, einen unabhängigen Forscher und Fotografen in Bandung, und M, einen Teilnehmer eines anarchistischen Kollektivs in Jogjakarta. Die Fotos stammen ebenfalls von Frans Ari Prasetyo.
Wenn du dazu beitragen möchtest, die Verbindungen zwischen Anarchist*innen in Indonesien und anderen Teilen der Welt zu stärken, kannst du Page Against the Machine unterstützen, eine Initiative zur Übersetzung von Büchern indonesischer Anarchist*innen ins Englische.
»Vertraue niemals der Regierung.« Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
Nach den Nachrichten, die uns in den Vereinigten Staaten erreichen, sind die anhaltenden Proteste angeblich eine Reaktion auf eine Änderung des Wahlrechts und ganz allgemein auf eine korrupte politische Dynastie. Steckt mehr hinter dieser Geschichte?
Frans Ari Prasetyo: Die jüngste Revolte verdeutlicht den Höhepunkt der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der zweiten Amtszeit von Präsident Jokowi, insbesondere unter jüngeren Indonesier*innen. Obwohl diese Proteste nicht zur Absetzung von Präsident Jokowi führen werden, da er im Oktober 2024 in den Ruhestand treten wird, zeigen sie doch, dass soziale Bewegungen in Indonesien, insbesondere in Bandung, seit dem Ende der autoritären Ära mit den Reformen von 1998 dynamischer und vielfältiger geworden sind. Diese Proteste entstanden als Reaktion auf Jokowis Versuche, das Gesetz zu den regionalen Exekutivwahlen zu ändern, das durch die Reformen von 1998 eingeführt worden war.
Das Verfassungsgericht erließ damals zwei Urteile zur Altersgrenze für regionale Exekutivämter. Erstens entschied es, dass Kandidat*innen bei ihrer Registrierung mindestens 30 Jahre alt sein müssen. Diese Entscheidung könnte verhindern, dass der jüngste Sohn von Präsident Jokowi, der erst 29 Jahre alt ist, für ein regionales Exekutivamt kandidiert. Das zweite Urteil hob die 25-Prozent-Klausel auf, die für politische Parteien zur Nominierung von Kandidat*innen für regionale Spitzenämter erforderlich war. Das Gericht senkte die Schwelle auf 6,5 bis 10% der gültigen Stimmen in jeder Region. Diese Änderung ermöglicht es kleineren und mittleren Parteien, eigene Kandidat*innen zu nominieren, wodurch die Wähler*innen mehr Auswahlmöglichkeiten haben. Zuvor konnten aufgrund der 25-Prozent-Hürde nur größere Parteien Kandidat*innen nominieren. Dieses Urteil öffnet auch die Tür für den ehemaligen Gouverneur von Jakarta, der bei der Opposition beliebt ist und eine hohe Wahlchance hat, sowie für andere von der Opposition unterstützte Kandidat*innen.
Jokowis Vorgehen könnte als Untergrabung demokratischer Prinzipien angesehen werden. Sein Agieren könnte durch den Wunsch motiviert sein, seine Macht zu erhalten und sich selbst zu schützen, während er auch nach Ablauf seiner Amtszeit im Oktober 2024 einen starken politischen Einfluss behält. Es gibt noch viel zu tun, um demokratische Teilhabe, Rechenschaftspflicht und Lebensqualität sowohl in Indonesien als auch weltweit voranzubringen. Allerdings scheinen die Fortschritte eher zu stagnieren als voranzukommen. Viele Indonesier*innen befürchten einen möglichen Zusammenbruch der repräsentativen Regierung. Darüber hinaus werden weitere Gesetze diskutiert, insbesondere das Militär- und Polizeigesetz, die erhebliche Auswirkungen haben könnten.
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
M: Die Proteste in Indonesien wurden durch eine Kombination von verschiedenen Faktoren ausgelöst, darunter die Änderungen des Wahlrechts, die weit verbreitete Korruption, wirtschaftliche Missstände und eine Unzufriedenheit mit der politischen Führung und der Brutalität der Polizei. Die Änderungen des Wahlrechts und der Einfluss korrupter politischer Dynastien stehen zwar im Mittelpunkt der aktuellen Unruhen, sind jedoch Teil eines größeren Zusammenhangs.
Die Kernprobleme, die die Proteste antreiben
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Änderungen des Wahlrechts: Die Proteste wurden maßgeblich durch die jüngsten Änderungen des indonesischen Wahlrechts angeheizt. Viele Indonesier*innen sehen in diesen Änderungen eine Untergrabung der demokratischen Prinzipien und eine Stärkung des Einflusses der etablierten politischen Eliten. Einige betrachten die Änderungen als Erleichterung der Manipulation von Wahlergebnissen, was zu Bedenken hinsichtlich der Fairness und Transparenz des demokratischen Prozesses geführt hat.
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Korruption: Korruption ist ein seit langem bestehendes Problem in der indonesischen Politik. Die Wahrnehmung weit verbreiteter Korruption unter politischen Eliten, darunter auch Mitglieder mächtiger politischer Dynastien, hat zur Frustration der Bevölkerung beigetragen. Viele Demonstrant*innen fordern ein faires Verfahren und die Bestrafung der Täter sowie mehr Rechenschaftspflicht und Transparenz vonseiten relevanter Institutionen wie der Kommission zur Bekämpfung der Korruption (KPK).
Zusätzliche Faktoren
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Historische Missstände: Indonesien blickt auf eine Geschichte politischer Unruhen zurück, und die jüngsten Proteste sind von historischen Missständen geprägt, darunter frühere Bewegungen gegen autoritäre Herrschaft und Korruption. Das Erbe der Suharto-Ära und der Reformasi-Bewegung (Reformierung) von 1998 beeinflusst bis heute die Stimmung und den Aktivismus der Bevölkerung.
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Wirtschaftliche Unzufriedenheit: Auch wirtschaftliche Fragen spielen eine wichtige Rolle. Die zunehmende Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik haben die Unzufriedenheit geschürt. Viele Indonesier*innen sind der Meinung, dass die Vorteile des Wirtschaftswachstums nicht gleichmäßig verteilt sind, was die sozialen und wirtschaftlichen Spannungen verschärft.
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Soziale Medien und Aktivismus: Die Rolle der sozialen Medien bei der Organisation und Verstärkung von Protesten sollte nicht unterschätzt werden. Soziale Medien haben es Aktivist*innen ermöglicht, schnell zu mobilisieren und Informationen zu verbreiten, was zum Ausmaß und zur Intensität der Proteste beigetragen hat. Dies führte zu einer verstärkten öffentlichen Überprüfbarkeit ihrer Aktionen. Auch Hashtag-Bewegungen haben zugenommen, wobei der Begriff »no viral, no justice« als Reaktion auf aktuelle Probleme aufkam.
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Aktuelle Führung: Präsident Jokowi wurde wegen seines Versagens bei der Bekämpfung von Korruption und politischen Reformen sowie wegen der Verabschiedung unpopulärer Gesetzesentwürfe kritisiert. In den zehn Jahren seiner Amtszeit wurde der Regierung von Jokowi vorgeworfen, nicht genug gegen die systemischen Probleme, die zur Enttäuschung der Bevölkerung beitrugen, getan zu haben. Während seiner Präsidentschaft hat sich Jokowi darauf konzentriert, Formen der Entwicklung zu fördern, die sich nachteilig auf die Gesellschaft und die Umwelt auswirken. Dies hat zu erheblicher Kritik und Konflikten an der Basis geführt, wo die Gemeinden direkt von seiner Politik betroffen sind.
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Polizeibrutalität: Es herrscht Wut über Polizeigewalt gegen Demonstrierende, willkürliche Verhaftungen, Misshandlung von Häftlingen, Machtmissbrauch, Korruption, die Erhöhung des nationalen Budgets für Rüstungsgüter, den Einsatz von Tränengas bei Demonstrationen, berufliches Fehlverhalten und die Beteiligung der Polizei am »Schutz« illegaler Online-Glücksspiele, Menschenhandel, Drogenhandel und der »Sicherheit« von Bergbau- und Palmölplantagengebieten, die im Konflikt mit lokalen Gemeinden stehen. Kritiker*innen argumentieren, dass dies die systemischen Probleme innerhalb der Polizei widerspiegelt, wie mangelnde Rechenschaftspflicht, unzureichende Aufsicht und eine Tendenz zu autoritären Praktiken. Menschenrechtsorganisationen, Aktivist*innen und andere Personen fordern häufig Reformen, um die Polizeipraktiken zu verbessern, mehr Transparenz zu gewährleisten und die bürgerlichen Freiheiten zu schützen. Anarchist*innen fordern die Abschaffung der Institution und den Kampf gegen sie.
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
Könnt ihr einen kurzen Überblick über frühere starke soziale Bewegungen in Indonesien geben, die den Anstoß für die aktuelle Welle geschaffen haben? Und könnt ihr uns eine Chronologie der bedeutenden Ereignisse, die zu den aktuellen Unruhen geführt haben, liefern?
Frans Ari Prasetyo: Vor dieser Protestaktion gab es eine weitere Demonstration gegen die Ernennung eines umstrittenen Polizeichefs zum Vorsitzenden der KPK (Komisi Pemberantasan Korupsi, »Kommission zur Bekämpfung der Korruption«). Viele befürchteten, dass diese Ernennung die Neutralität der Kpk beeinträchtigen und ihre Fähigkeit zur wirksamen Bekämpfung der Korruption behindern würde. Im Jahr 2019 kam es zu den größten Protesten seit den Reformen von 1998, bekannt als #reformasidikorupsi. Diese Demonstrationen und die Reaktion des Staates darauf führten zu einem dramatischen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Regierung Jokowi.
Die #reformasidikorupsi-Proteste dauerten fast zwei Wochen und fanden in mehreren Städten statt. Tragischerweise wurden mehrere Demonstrant*innen von der Polizei umgebracht. Viele hofften, dass dieser Widerstand zu einer zweiten Reform führen würde, ähnlich wie die erste Reform, die das Regime der Neuen Ordnung (Suharto) stürzte. Jokowi gelang es jedoch, die Lage zu beruhigen, indem er auf die Oppositionsparteien zuging und ihnen eine Rolle innerhalb des Regierungsblocks anbot. Bemerkenswert ist auch, dass Jokowi es schaffte, die Zusammenarbeit zwischen Militär und Polizei zu fördern, die während der Proteste intensiv zusammenarbeiteten.
Am 1. Mai 2019 gingen autonome Gruppen auf die Straße. Die meisten von ihnen schlossen sich dem Black Bloc an. Obwohl dies nicht der erste Black-Bloc-Protest war, war es der bislang größte, was viele überraschte. Angesichts des Kontextes der anhaltenden Demonstrationen hätten wir vielleicht nicht so überrascht sein sollen.
Im Jahr 2022 kam es nach der Verabschiedung eines umstrittenen Strafgesetzbuches (KUDP), das viele mit Gesetzen aus der Kolonialzeit verglichen, zu großen Protesten. Vor der Verabschiedung des Strafgesetzbuches und den darauf folgenden Protesten verabschiedeten das Repräsentantenhaus (DPR) und die indonesische Regierung im Oktober 2020 das neoliberale »Omnibusgesetz«. Dieses Gesetz zielte darauf ab, die Beschäftigung während der Pandemie anzukurbeln und Änderungen an Gesetzen zu beschleunigen, die als Hindernis für Wirtschaftswachstum, Entwicklung und Investitionen angesehen wurden.
Angesichts verfassungsrechtlicher Beschränkungen, die ihn daran hinderten, eine dritte Amtszeit anzustreben, ernannte Jokowi seinen Schwager zum Präsidenten des Verfassungsgerichts. Er erwog auch, die Altersvoraussetzungen für Vizepräsidentschaftskandidaten zu lockern, was es Jokowis ältestem Sohn ermöglichen würde, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 an der Seite von Prabowo zu kandidieren. Prabowo, ein ehemaliger General der Neuen Ordnung, der in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen begangen hat, darunter die Entführung von Aktivist*innen während der Reformen von 1998 und Militäroperationen in Papua, suchte nach den Reformen Zuflucht in Jordanien. Er kehrte während der Amtszeit von Präsident Abdurahman Wahid (Gusdur) nach Indonesien zurück und engagierte sich politisch, was zur Gründung der Gerindra-Partei (Gerakan Indonesia Raya) und zu seiner Ernennung zum Vorsitzenden dieser Partei führte. Prabowo und Gibran, Jokowis Sohn, gewannen die Wahl 2024, was einen Rückschritt zur Neuen Ordnung bedeutete.
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
M: Hier möchte ich euch eine kurze Chronologie präsentieren.
Eine Chronologie der Ereignisse
2017: Bei den Gouverneurswahlen in Jakarta kam es zu erheblichen Unruhen und groß angelegten Protesten gegen den amtierenden Gouverneur Ahok, die in erster Linie durch Vorwürfe der Blasphemie mit stark rassistischen Tendenzen (er ist chinesischer Abstammung) angeheizt wurden. Ahoks Niederlage markierte einen Anstieg der politischen und sozialen Polarisierung.
2018–2019: In Indonesien kam es zu mehreren hochkarätigen Korruptionsskandalen, in die hochrangige Beamte und Ministerien verwickelt waren; diese verschärften die Frustration der Bevölkerung gegenüber der politischen Elite.
2019: Die Wiederwahl von Präsident Joko Widodo (Jokowi) löste Proteste von Oppositionsgruppen aus, die Wahlbetrug behaupteten und Jokowis Politik kritisierten. In dieser Zeit wurde auch die Einflussnahme von Jokowis politischen Dynastien und Vetternwirtschaft zunehmend kritisch hinterfragt.
2020–2021: Die COVID-19-Pandemie verschärfte bestehende Probleme wie die wirtschaftliche Instabilität. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über den Umgang mit der Pandemie und die wahrgenommene Korruption bei den Hilfsmaßnahmen wuchs.
2022: Als Reaktion auf neue Gesetze zur Schaffung von Arbeitsplätzen (das »Omnibusgesetz«), die als Begünstigung kapitalistischer Interessen gegenüber den Rechten der Arbeitnehmenden angesehen wurden, kam es zu Demonstrationen. Diese Proteste verdeutlichten die anhaltenden Bedenken hinsichtlich der Arbeitnehmer*innenrechte und der wirtschaftlichen Ungleichheit. Im Jahr 2022 kam es außerdem zu einem außergewöhnlichen Fall, an dem ein hochrangiges Mitglied der Nationalpolizei, Ferdy Sambo, beteiligt war, der als Leiter der Propam-Abteilung tätig war. (»Kadiv Propam« steht für den Leiter der Abteilung für Beruf und Sicherheit, der befugt ist, die Aufgaben der Propam-Abteilung umzusetzen, die sich auf die Entwicklung von Berufsstandards und Sicherheit innerhalb der internen Organisation der Nationalpolizei beziehen.) Er war in den vorsätzlichen Mord an Brigadier Joshua Hutabarat verwickelt.
Obwohl Sambo zunächst zum Tode verurteilt wurde, lautete das endgültige Urteil lebenslange Haft. Dieser Vorfall erregte national und international große Aufmerksamkeit. Es war das erste Mal, dass ein General der Nationalpolizei in Indonesien zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
2023–2024: Die jüngsten Unruhen wurden durch eine Kombination aus Unzufriedenheit mit den Wahlgesetzen, Korruptionsvorwürfen, hoher Arbeitslosigkeit und wachsender Frustration über festgefahrene politische Strukturen ausgelöst.
Die anhaltenden Proteste spiegeln die Fortsetzung des Kampfes für politischen Wandel wider, der die jüngste Geschichte Indonesiens geprägt hat.
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
Jede Bewegung umfasst verschiedene Fraktionen und Strömungen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Zielen. Könnt ihr die verschiedenen Gruppen auf beiden Seiten dieses Konflikts beschreiben?
Frans Ari Prasetyo: Angesichts der relativ schwachen politischen Kultur Indonesiens, der rückläufigen Arbeiter*innenbewegung und der zersplitterten Linken ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen als Anarchist*innen bezeichnen oder sich an anarchistischen Prinzipien ausrichten. Diese flexible und inklusive Interpretation des Anarchismus scheint die am weitesten verbreitete Form des anarchistischen Gedankenguts zu sein. Der Trend zum Anarchismus als soziale Bewegung ist für viele junge Menschen in Indonesien besonders attraktiv, insbesondere in Bandung, wo es seit 2014 eine Tradition des Anarchismus gibt. In Bandung veröffentlichte die autonome Bewegung ein Compilation-Album mit dem Titel Mobilisasi Kemuakan (»Mobilisierung des Ekels«), auf dem zwölf Bands aus verschiedenen Musiksubgenres vertreten sind, darunter Punk, Metal und Hip-Hop. Die Texte des Albums lehnen Wahlen ab und das Album enthielt ein spezielles Booklet, in dem die repräsentative Demokratie kritisiert und mit den Mobilisierungen der Bevölkerung auf den Straßen und der »direkten Demokratie« kontrastiert wurde.
Umgekehrt unterstützte eine prominente marxistische Intellektuellengruppe in Indonesien Jokowi, indem sie vor den Präsidentschaftswahlen 2014 linke Aktivist*innen, Jugendgruppen und neue Wähler*innen durch eine auffällige Zeitungskampagne mobilisierte. Sie rechtfertigten diese Unterstützung damit, dass sie Jokowis Opposition gegen Prabowo hervorhoben, einen Militärgeneral der Neuen Ordnung mit einer Geschichte von Menschenrechtsverletzungen. Ironischerweise wurde Jokowi zu einem wichtigen Befürworter von Prabowos Präsidentschaft im Jahr 2024, wobei Prabowos Stellvertreter Jokowis ältester Sohn ist.
Die aktuelle Protestbewegung scheint sich in drei Hauptgruppen aufgespalten zu haben: Universitätsstudent*innen, Gewerkschaften und Massenorganisationen, darunter nationalistische und religiöse Gruppen, sowie informelle Gruppen, die sich auf bestimmte identitätsbezogene Themen konzentrieren, wie Frauengruppen, Künstler*innen, Journalist*innen, Queers und religiöse Minderheiten. Einige dieser Gruppen werden von der Gesellschaft, der Polizei und dem Staat als »Black-on-Black«- oder »Anarcho«-Gruppen bezeichnet.
Diese »anarchistischen« Gruppen drücken sich auf verschiedene Weise aus, darunter durch Sprechchöre, Gesänge, Graffiti und das Tragen von Fahnen, Plakaten und Transparenten, aber auch durch abfeuern von Leuchtraketen auf den Straßen. Ihr Ziel ist es, das Bewusstsein zu schärfen. Aber leider bietet das derzeitige demokratische System keine wirksamen Mittel, um eine auf der Straße stattfindende Auseinandersetzung - gegen den Staat oder die Polizei und das Militär - zu integrieren. Diese anarchistischen Aktivitäten haben die Öffentlichkeit, den demokratischen Prozess und sogar die Polizei etwas verunsichert. Es ist bedauerlich, dass das entschlossene Vorgehen der Polizei bei allen öffentlichen Kämpfen (Demonstrationen u.ä.), insbesondere gegen Anarchist*innen, zu einem Rückgang des öffentlichen Verständnisses und der Unterstützung für Anarchist*innen als Teil der Zivilgesellschaft geführt hat.
Studierendengruppen spielen oft eine entscheidende Rolle bei der Initiierung von Protesten und bleiben als Akteur*innen des Wandels ein prominentes Thema in der Berichterstattung der Mainstream-Medien. Sie gelten weithin als intellektuelle und kritische Stimmen zur Regierungspolitik. Als gebildete Bürger*innen haben sie das Potenzial, Regierungsentscheidungen zu beeinflussen.
Die Beteiligung von Student*innen an Streiks in ganz Indonesien hat eine neue soziale Bewegung angeheizt und zu einem gesteigerten politischen Bewusstsein geführt. Student*innen sind zu einer mächtigen Kraft bei Protesten geworden, wobei sich viele mit der anarchistischen Bewegung identifizieren, die die Energie und Leidenschaft der subversiven Jugend kanalisiert.
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
M: Die aktuelle Widerstandsbewegung lässt sich grob in zwei Gruppen unterteilen: die Elite innerhalb der Regierung und der politischen Parteien und die Gemeinschaft außerhalb der Regierung. Diejenigen innerhalb der Regierung, die sich als »Opposition« positionieren, haben ihre eigenen politischen und parteipolitischen Ziele; sie versuchen auch, ihre Interessen zu sichern, was uns völlig egal ist. Auf der anderen Seite umfassen die jüngsten außerparlamentarischen Bewegungen eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen, darunter Veteran*innen der Proteste von 1998, Menschenrechtsorganisationen und -aktivist*innen, Frauengruppen, Umweltaktivist*innen, Journalist*innen, indigene Gemeinschaften, Bäuer*innen, Fischer*innen, informelle Arbeiter*innen, Akademiker*innen, religiöse Studierendenorganisationen, Student*innen aus Papua, Universitätsprofessoren, Kurierfahrer*innen, politische und populäre Persönlichkeiten, Künstler*innen, Komiker*innen, Mütter, Gymnasiast*innen, Punks und natürlich Anarchist*innen, die häufig als Anstifter*innen von Unruhen und »Provokateure« zu Sündenböcken gemacht werden.
Diese außerparlamentarischen Gruppen sind angesichts der zunehmend rücksichtslosen Handlungen der Jokowi-Dynastie, insbesondere kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft, an einem Punkt der Verzweiflung angelangt. Die Zivilgesellschaft äußert auch Besorgnis über den designierten Präsidenten und Vizepräsidenten der nächsten Regierung, die beide eine sehr schlechte Bilanz vorzuweisen haben; ihre Amtseinführung ist für Oktober 2024 geplant. Der designierte Präsident, Prabowo Subianto, ist der Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Suharto; er war unter dem Suharto-Regime ein hochrangiger General und ist derzeit Verteidigungsminister. Er war 1998 an der Entführung und dem Verschwindenlassen von studentischen Aktivist*innen sowie an einer Reihe von Militäroperationen während der Suharto-Ära beteiligt. Außerdem ist er ein sehr wohlhabender Geschäftsmann. Gibran Rakabuming Raka, der designierte Vizepräsident und älteste Sohn von Jokowi, wurde wegen Vetternwirtschaft und Verstößen gegen die Altersgrenze für das Präsidentenamt, wie sie vom Verfassungsgericht Anfang dieses Jahres festgelegt wurde, heftig kritisiert.
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
Wir haben gesehen, wie während der Unruhen »ACAB« auf enteignete Polizeischilde und Polizeifahrzeuge gekritzelt wurde. Welche Rolle spielen Antiautoritäre und Anarchist*innen bei diesen Protesten? Und wie verbreitet sind antiautoritäre Tendenzen in den heutigen Bewegungen Indonesiens?
Frans Ari Prasetyo: Seit dem Aufkommen der Anti-Globalisierungsbewegung in den 1990er Jahren erleben anarchistische Ideen eine Renaissance und ziehen immer mehr Anhänger*innen an. Trotz polizeilicher Repressionen und anhaltender Kritik seitens der Mainstream-Medien hat die Bewegung an Dynamik gewonnen. Bandung, in den 1990er Jahren historisch gesehen ein Zentrum anarchistischer Aktivitäten in Indonesien, ist nach wie vor die Heimat einer lebendigen anarchistischen Gemeinschaft. Die Bewegung wuchs Mitte der 2000er Jahre durch verschiedene Aktivitäten erheblich, darunter Streiks, Fußballrowdytum, Proteste gegen Zwangsräumungen, gegenseitige Hilfsaktionen und die Verbreitung von Büchern und Broschüren. Faktoren wie wirtschaftliche Ungleichheit, Gentrifizierung, Probleme beim Zugang zu Wohnraum und Land, Umstrukturierungen im Arbeitsbereich und staatliche Repressionen haben zu weit verbreiteter Wut und Konfrontationen mit der Polizei geführt.
Anarchist*innen haben sich der Schaffung von Räumen verschrieben, die ihren Überzeugungen entsprechen, alternative Formen des Widerstands erforschen und die Grenzen von Freiheit, lokalen Protesten und transnationalen sozialen Bewegungen definieren.
Autoritarismus und Militarismus sind seit der Neuen Ordnung tief in Indonesiens Geschichte verwurzelt, und diese Militarisierung hat sich unter Jokowi noch verstärkt. Der anarchistische Widerstand gegen Jokowis Regierung ist stark. Die Exekutive hat ihre Macht über die Budgets von Polizei und Militär konsolidiert, um Protestbewegungen zu kontrollieren. Obwohl die Polizei nicht offen für Jokowi geworben hat, trug ihre Unterstützung in verschiedenen Regionen zu seinem Wahlerfolg bei, was an ihre Rolle während der Ära der Neuen Ordnung erinnert. Nach der Black-Bloc-Action am 1. Mai 2019, die zur Verhaftung von über 700 Personen in Bandung führte, ist klar, dass die Polizei zunehmend entschlossen ist, alle öffentlichen Konfrontationen zu »gewinnen«, insbesondere solche, an denen Anarchist*innen beteiligt sind. Infolgedessen laufen Anarchist*innen Gefahr, von einigen Gemeinschaften isoliert zu werden. In bestimmten Wohngebieten von Bandung hängen Banner mit Aufschriften wie »Anti-Anarcho«, »Anarko Dilarang!« (»Anarcho verboten!«) oder »Daerah Ini Bebas Anarko« (»Dieses Gebiet ist anarchofrei«). Zu dieser Zeit wollte niemand mit der subversiven Widerstandsbewegung in Verbindung gebracht werden.
Im Jahr 2020, während der Omnibus-Proteste, begannen diese Banner zu verschwinden. Die Polizei ging jedoch weiterhin hart gegen die Proteste vor, verhaftete Zivilist*innen und ging gewaltsam gegen sie vor, nur weil sie schwarz gekleidet waren. Diese gezielte Verfolgung aller schwarz gekleideten Personen bei Protesten, die darauf abzielt, die anarchistische Bewegung zu isolieren, hat jedoch den gegenteiligen Effekt und treibt viele wütende junge Menschen in den Anarchismus.
Im Jahr 2022 kam es nach einem tödlichen Vorfall in einem Fußballstadion zu heftigen Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Polizei. Infolgedessen wurden »ACAB« und weitere, innovative Anti-Polizei-Slogans und Graffitis immer beliebter.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
M: Die anarchistische Bewegung in Indonesien wächst. Wir verbreiten nicht nur antiautoritäre Ideen durch Diskussionen, Publikationen, Übersetzungen, soziale Medien, Kunst und Musik, sondern beteiligen uns auch aktiv an Basisbewegungen, insbesondere solchen, die sich gegen Zwangsräumungen und Umweltzerstörung richten, sowie an Bewegungen gegen Polizei und Staat. Wir setzen uns für dezentrale Bewegungen ein, die direkte Aktionen durchführen, bauen Netzwerke der gegenseitigen Hilfe im ganzen Archipel auf, besetzen Land, das im Konflikt mit dem Staat und Unternehmen steht, und kümmern uns um alltägliche Probleme, mit denen die Gemeinschaft insgesamt konfrontiert ist, einschließlich unserer eigenen Probleme. Wir erreichen dies durch Organisation nach anarchistischen Prinzipien und die Förderung eines kritischen Bewusstseins innerhalb der Gesellschaft.
Wir wollen das Bewusstsein schärfen und aufdecken, wie manipulativ und ausbeuterisch der Staat und die Unternehmen gegenüber der Gesellschaft sind. Wir informieren über ihre Verfehlungen. Je besser die Menschen informiert sind, desto kritischer werden sie und verlieren das Vertrauen in die Mechanismen oder Strategien des Staates und auch in die Polizei. Wir sind mit diesen Bemühungen nicht allein. Wir haben begonnen, Beziehungen zu Student*innengruppen, Punks, Künstler*innen, Musiker*innen, Akademiker*innen, queeren Gemeinschaften, Arbeitslosen, Anwält*innen, informellen Arbeiter*innen und anderen aufzubauen. Die organische anarchistische Bewegung wird ihrer Rolle gerecht und sorgt gleichzeitig für Wachstum antiautoritärer Bewegungen in verschiedenen Regionen.
Dies geschieht jedoch nicht ohne Herausforderungen. Es kam zu einigen Reibereien zwischen den Student*innengruppen und uns Anarchist*innen. Indonesische Student*innen tragen bei Demonstrationen oft ihre Campusjacken und verwenden Seile, um Barrieren zu errichten, angeblich um das Eindringen von Polizeibeamten oder Provokateuren zu verhindern.
Außerdem neigen sie dazu, sich wie die Anführer*innen der Proteste zu verhalten, eine Form des Avantgardismus. Ironischerweise widersprechen ihre Slogans wie »Die Menschen, vereint, können nicht besiegt werden« und »Vorsicht vor Provokationen, lasst uns nicht spalten« der Realität vor Ort, wenn sie sich selbst abgrenzen und behaupten, das Volk zu vertreten. Wenn die Spannungen steigen, sind es in der Regel die Anarchist*innen, die nach vorne treten, die Begeisterung der anderen Demonstrant*innen wecken und in die Auseinandersetzung gehen.
Als beispielsweise in Bandung die Lage chaotisch wurde, Tränengas und Steine flogen, suchten Demonstrant*innen Zuflucht auf einem Campus, aber die dortigen Student*innen blockierten uns und riefen: »Lasst sie nicht rein! Sie gehören nicht zu uns!« Ein noch beunruhigenderer Vorfall ereignete sich in Sukabumi, wo einige Demonstrant*innen, die als »Black Bloc« identifiziert wurden, von vielen Student*innen zusammengeschlagen wurden.
Student*innen verstehen oft nicht, dass die Vielfalt der Demonstrierenden eine unvermeidbare Realität ist, die zeigt, dass die Bewegung verschiedene soziale Schichten umfasst. Eine stärkere Einbindung verschiedener Gruppen, die gegen denselben Feind kämpfen, ist taktisch wichtig. Die Studierenden vergessen auch, dass Anonymität für die Sicherheit der Demonstrant*innen entscheidend ist, da die Polizei oft gegen »Black Bloc«-Gruppen vorgeht.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Wie unterscheidet sich die Bewegung in den verschiedenen Teilen des Landes?
M: Indonesien ist ein riesiger Archipelstaat und hat Regionen mit unterschiedlichen Widerstandskulturen, die von lokalen Bräuchen und Problemen beeinflusst sind. Java als Zentrum für Finanzen, Wirtschaft, Information, Technologie und Macht weist erhebliche soziale, wirtschaftliche und bildungspolitische Ungleichheiten auf. Der Widerstand in den einzelnen Regionen konzentriert sich oft auf lokale Probleme.
Kalimantan beispielsweise ist durch den massiven Bergbau, die Ausweitung der Palmölplantagen und die Vertreibung indigener Gemeinschaften mit schwerwiegenden ökologischen Bedrohungen konfrontiert. Das umstrittene Projekt zur Verlegung der Hauptstadt (IKN), das die Verlegung der Hauptstadt von Jakarta nach Penajam Paser Utara in Ostkalimantan vorsieht, wird 256.142 Hektar natürlichen Wald und 68.189 Hektar Meer zerstören. Nach Angaben der Nationalen Entwicklungsplanungsbehörde (Bappenas) beläuft sich das Budget für das IKN-Projekt auf 466,9 Billionen IDR, die vom Staat und ausländischen Investoren finanziert werden sollen. An dem IKN-Projekt sind auch hochrangige Beamte mit erheblichen Investitionen beteiligt, darunter Prabowo Subianto, der Verteidigungsminister, und Luhut Binsar Panjaitan, Indonesiens Koordinierungsminister für maritime Angelegenheiten und Investitionen – ein ehemaliger hochrangiger General der Suharto-Ära.
Das Ausmaß der polizeilichen Repressionen variiert je nach Region, wobei Aktionen in den östlichen Regionen in der Regel mit härteren Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden konfrontiert sind.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Welche Teile der Gesellschaft gehen auf die Straße? Sind es diejenigen, die bereits zuvor ins Visier der Polizei geraten sind – wie Gewerkschaften, Punks, Fußball-Ultras oder Demonstrantierende für die Unabhängigkeit Westpapuas?
M: Die Fußball-Ultras haben aufgrund der Tragödie von Kanjuruhan – einem tragischen Ereignis, das sich am 1. Oktober 2022 im Kanjuruhan-Stadion in Malang, Indonesien, ereignete – ihre eigenen Ressentiments. Nach einem Fußballspiel zwischen Arema FC und Persebaya Surabaya kam es zu Ausschreitungen. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen, was zu Chaos führte, als Tausende von Fans zu den Ausgängen stürmten. Die daraus resultierende Massenpanik und Enge führte zum Tod von über 135 Menschen und vielen weiteren Verletzten. Dies warf auch Fragen hinsichtlich der Kontrolle von Menschenmengen und der Sicherheit in Stadien auf.
Die Eltern der Opfer schlossen sich den Fußballverbänden an, verurteilten die Tragödie und forderten Gerechtigkeit für die Betroffenen. Es kam zu einem Prozess, in dem drei niedrigrangige Polizeibeamte und zwei Organisatoren des Spiels zu einer Höchststrafe von jeweils nur zweieinhalb Jahren verurteilt wurden. In der Urteilsbegründung erklärte der Richter, dass das Tränengas aufgrund der Windrichtung in Richtung der Tribünen Hunderte von Menschen getroffen habe. Der Vorfall von Kanjuruhan gilt als die zweitgrößte Fußballkatastrophe der Geschichte nach der Tragödie von 1964 im Estadio Nacional in Lima, Peru, bei der über 300 Menschen ums Leben kamen. Bis heute fordern die Familien der Verstorbenen Rechenschaft, Gerechtigkeit und Transparenz.
Unterdessen kämpfen die Menschen in Papua weiterhin für ihre Unabhängigkeit, obwohl sie vom Staat als bewaffnete kriminelle Gruppe dargestellt werden. Dieser Begriff, der während der Präsidentschaft von Jokowi mit verdeckter Unterstützung von Verteidigungsminister Prabowo verstärkt verwendet wurde, dient dazu, die papuanische Unabhängigkeitsbewegung zu diffamieren. Leider greifen auch die Mainstream-Medien häufig auf diese Bezeichnung zurück. Alle von euch genannten Gruppen sind direkte Opfer der Politik der Regierung Jokowi. Natürlich nutzen sie diesen Moment, um sich mit anderen betroffenen Gemeinschaften zu verbünden und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Frans Ari Prasetyo: Indonesien hat seit den Reformen von 1998 bedeutende Veränderungen durchlaufen, darunter ein rasantes Wachstum ziviler Institutionen, eine wachsende Mittelschicht und die Entstehung einer lebendigen Kultur und eines metropolitanen Lebensstils. Diese Veränderungen haben jedoch auch Bedenken hinsichtlich des Einflusses der Medien auf die öffentliche Meinung, des Aufstiegs populistischer Bewegungen und der Versuche, unter dem Deckmantel der Entwicklung zu einem autoritären Regime zurückzukehren, aufgeworfen. Während der politisch aufgeladenen Reformasi-Ära protestierten Anarchist*innen gegen die Diktatur. Diese Reaktion war nicht überraschend, da sich indonesische Anarchist*innen historisch gesehen mit der Arbeiter*innenklasse und dem Klassenkampf verbündet haben. Der Niedergang der politischen Linken nach den Reformen von 1998 führte jedoch auch zu einem Niedergang des Anarchismus.
Trotzdem sind Anarchist*innen weiterhin in laufenden Protesten aktiv. Der Anarchismus und der Black Bloc sind für die Teilnehmenden der Jugendproteste in Bandung zu wichtigen kulturellen Identitäten geworden. Junge Menschen, die sich in Musiksubkulturen, im Fußball-Hooliganismus, im antikolonialen Widerstand in West-Papua und anderen Bewegungen engagieren, beschäftigen sich häufig mit Anarchismus, insbesondere durch den Black Bloc. Auch Gewerkschaften haben sich engagiert, insbesondere gegen das »Omnibus-Gesetz«, das ihre Interessen direkt betrifft. Dieses Engagement ist bemerkenswert angesichts des Einflusses der Regierungspartei auf die Gewerkschaften durch ihre Hauptkoalition, die eine breite klientelistische Struktur innerhalb der zivilgesellschaftlichen Gruppen, einschließlich der organisierten Arbeiter*innenschaft, aufrechterhält.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Inwieweit steht diese Bewegung im Dialog mit oder unter dem Einfluss der jüngsten Aufstände in anderen Teilen der Welt, beispielsweise in Sri Lanka, Myanmar, Bangladesch oder anderswo?
M: Ich bin nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Wir sind jedoch sehr inspiriert von der Bewegung in Hongkong und haben einige ihrer Strategien übernommen.
Frans Ari Prasetyo: Länder wie Sri Lanka, Myanmar, Bangladesch, Kambodscha und viele in Afrika und Lateinamerika stehen vor erheblichen Herausforderungen in Bezug auf ihre Regierungsführung. Zu diesen Herausforderungen gehören oft ein niedriges Pro-Kopf-BIP, ein hohes Maß an bewaffneten Konflikten und eine geringe politische Stabilität. Diese Nationen sind seit Jahrzehnten in einem Kreislauf aus internen Konflikten und schlechter Regierungsführung gefangen, und es scheint wahrscheinlich, dass sie weiterhin auf allen Ebenen der Gesellschaft von Instabilität geprägt sein werden. Die aktuellen Unruhen in einigen dieser Länder sind ein Beispiel für die Turbulenzen, die als Folge davon entstehen können.
Wenn Gesellschaften einen robusten Staatsapparat ohne eine starke und produktive Binnenwirtschaft entwickeln, sind große Teile der Bevölkerung möglicherweise anfälliger für die autokratische Erzählung, dass die Leistungsfähigkeit des Staates der Schlüssel zur Entwicklung ist. In den letzten zehn Jahren hat Indonesien einen komplexen Prozess durchlaufen und schwankt zwischen Demokratie und Autokratie hin und her. Indonesien könnte ein Beispiel für das Scheitern der »These der demokratischen Suffizienz« sein, die davon ausgeht, dass Demokratie mittel- bis langfristig unerlässlich ist, um eine höhere Lebensqualität zu erreichen. Dies schien nach der Reform von 1998 in Indonesien der Fall zu sein, das sich von 32 Jahren autoritärer und militaristischer Herrschaft befreit hatte und seinen Übergang zur Demokratie feierte. Allerdings steht das Land weiterhin vor Herausforderungen, wenn es darum geht, eine Lebensqualität zu erreichen, die seinen demokratischen Standards und staatlichen Kapazitäten entspricht. Zwar war Indonesien in dieser Hinsicht glücklicher als Sri Lanka, Myanmar, Bangladesch und andere Länder in Afrika und Lateinamerika, doch gibt es Befürchtungen, dass die Regierung Jokowi in den letzten zehn Jahren wieder in Richtung militaristischer Autoritarismus abgeglitten sein könnte.
Die westliche Demokratie ist nicht unvermeidlich, da die Geschichte kein vorbestimmtes Ziel oder keinen vorbestimmten Zweck hat. Stattdessen wird die Geschichte durch menschliches Handeln, ideologische Kämpfe und politische Konflikte geprägt, wobei die Zukunft immer ungeschrieben bleibt.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Könnt ihr uns einige Quellen nennen, um die Geschichte der anarchistischen Aktivitäten in Indonesien zu verstehen, und uns konkrete Möglichkeiten nennen, wie man die dortigen Anarchist*innen unterstützen kann?
M: Im Moment brauchen wir eindeutig internationale Unterstützung, um das Erbe der Oligarchie und Vetternwirtschaft unter Jokowi sowie die Polizeibrutalität bekannt zu machen. Wir fordern euch dringend auf, die indonesische Polizei und das Militär für ihre brutalen Aktionen zu verurteilen.
Darüber hinaus halten wir es nach der Reflexion über mehrere Vorfälle, bei denen es während Demonstrationen oder Landbesetzungen zu Zusammenstößen mit der Polizei oder mit rechtsnationalistischen und konservativen religiösen Massenorganisationen kam, für notwendig, mehr Aufwand in die Taktik während Demonstrationen zu stecken. Wir planen, uns besser mit Schutzausrüstung auszustatten und »Trainings« abzuhalten, um unser Wissen zu Sicherheit sowie Taktiken der Verteidigung und des Angriffs zu vertiefen.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Frans Ari Prasetyo: Anarchistische Gruppen sind in ganz Indonesien vertreten. Einige dieser Gruppen bezeichnen sich ausdrücklich als anarchistisch, andere nicht. Unabhängig von ihrer Bezeichnung stimmen ihre Aktionen stark mit anarchistischen Prinzipien überein. Solange wir ähnliche ideologische Bindungen und vielfältige strategische und praktische Ansätze teilen, erscheint es sinnvoll, zusammenzuarbeiten, auch wenn sich nicht jede*r als ideologische*r Anarchist*in versteht. Der Anarchismus bietet einen Rahmen, um die Komplexität des Jugendaktivismus zu verstehen. Er liefert eine Perspektive, durch die man die miteinander verbundenen Herausforderungen systemischer wirtschaftlicher Ungleichheiten, der Ressourcenverteilung, des Zugangs zu öffentlichen Gütern, der Arbeitssysteme, der staatlichen Repression und der polizeilich-militärischen Maßnahmen untersuchen kann. Die anhaltende Wut auf Polizei und Militär hat zu zahlreichen Konfrontationen und Unruhen geführt.
Trotz ihrer Schwierigkeiten hat die anarchistische Bewegung eine bedeutende Rolle bei der Neugestaltung antikapitalistischer Kämpfe gespeilt – in einer Zeit, die durch Fragmentierung und Niedergang aufgrund des aggressiven Neoliberalismus und des wiederauflebendem Autoritarismus gekennzeichnet war.
Zusammenarbeit kann dazu beitragen, eine stärkere Bewegung und Gesellschaft aufzubauen. Die COVID-19-Krise hat in Bandung ein neues Muster des Aktivismus etabliert. Die Zivilgesellschaft hat sich angepasst, indem sie Netzwerke gebildet hat, die rhizomartig funktionieren und Überleben und Widerstandsfähigkeit ermöglichen. Ich habe die Auswirkungen dieses Musters beobachtet und direkt erlebt. Seit der ersten Phase der COVID-19-Pandemie hat sich dieser Ansatz als effektiv, flexibel und dynamisch erwiesen, insbesondere innerhalb von Jugendbewegungen.
In Bandung verwenden wir den Begriff lintas tongkrongan (Cross-Hangout), um Zusammenarbeit ohne Hierarchie zu beschreiben. Wie anderswo auch verbringen viele junge Menschen viel Zeit miteinander oder nongkrong (hängen rum). Dies kann eine wertvolle Quelle der Energie und Leidenschaft für zivilgesellschaftliches Engagement sein, einschließlich anarchistischer Aktivitäten.
Eine Demonstration in Bandung am 28. August 2024.
Was würde es bedeuten, zu gewinnen?
M: Wir streben keinen »Sieg« an. Was wir wirklich wollen, ist, dass mehr Menschen die Übel des Staates, des Kapitalismus und ihrer Instrumente erkennen. Wir wollen uns weiterhin autonom organisieren, Ungerechtigkeit mit direkten Aktionen bekämpfen und Wurzeln schlagen wie Wildpflanzen, die selbst durch Beton nicht aufgehalten werden können.
Frans Ari Prasetyo: Wir gehen das Thema vielleicht aus dem falschen Blickwinkel an, wenn wir den Sieg als das ultimative Ziel eines Kampfes betrachten. Wir befinden uns in einem Konflikt, der möglicherweise keine eindeutige Lösung hat. Wenn wir den Sieg erringen, lohnt es sich, darüber nachzudenken, was als Nächstes geschieht. Es besteht die Gefahr eines »falschen Sieges«, bei dem wir am Ende zu etwas Neuem werden, das das widerspiegelt, gegen das wir gekämpft oder das wir besiegt haben. Wenn wir diesen Sieg als Wohltätigkeitsaktivismus betrachten, könnte dies eher zu einer Positionsänderung als zu einer echten Veränderung führen. Nicht alle, die verlieren, werden verschwinden; einige werden möglicherweise ihre Methoden anpassen, um fortschrittlich zu erscheinen, wodurch Wohltätigkeiten zu einer weiteren Manifestation der Klassenstruktur werden und unbeabsichtigt den Status quo aufrechterhalten könnte.
In Indonesien führte der Sieg der Reformasi von 1998, der das 32-jährige militaristisch-autoritäre Regime der Neuen Ordnung beendete, zur Errichtung einer demokratischen Regierung. Hätte der Staat mehr tun können, um eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität zu gewährleisten, selbst bei starker demokratischer Rechenschaftspflicht? Oder ging es bei dem Sieg lediglich darum, das Wahlgesetz zu vereiteln? Wir haben es mit einer Regierung, Oligarchen und räuberischen Wirtschafts- und Parteieliten zu tun, die sich alles angeeignet haben, was der Bevölkerung gehört. Deshalb müssen wir so hart wie möglich kämpfen. Die derzeitige Gesellschaftsordnung nach den Reformen basiert auf dem Sieg über die Neue Ordnung. Der Übergang zur Zivilregierung wurde von Personen gesteuert, die Teil der Diktatur waren, und ist durch deren Politik geprägt.
In den letzten zehn Jahren unter Präsident Jokowi (2014–2024) hat sich Indonesien wieder zu einem autoritären, militaristischen Staat gewandelt, der als Neo-Orba (Neue Neue Ordnung) bekannt ist. Jokowi wurde zunächst als populistischer Präsident dargestellt, der sich für die einfachen Menschen einsetzt; viele ehemalige Reformaktivist*innen, die Suhartos Neue Ordnung gestürzt hatten, unterstützen nun Jokowis Neo-Orba-Regime. Wenn Jokowis Amtszeit 2024 endet, werden viele dieser Aktivist*innen ihre Unterstützung auf einen Militärgeneral der Neuen Ordnung verlagern, der sie einst entführt hatte und zweimal von Jokowi bei den Präsidentschaftswahlen besiegt wurde. Dieser General wird der nächste Präsident Indonesiens werden, mit Jokowis Sohn als seinem Vizepräsidenten. Diese Kontinuität von Macht und Reichtum verspottet das Streben nach mehr Gleichheit und perpetuiert einen Kreislauf von Ungleichheit und Ausgrenzung.
Warum sollte auf einen großen Sieg noch größere Demonstrationen folgen, nur damit diese Siege neue und extremere Formen der Ungleichheit rechtfertigen? Dies spiegelt ein Trauma aus den Demonstrationen von 1998 wider, deren Folgen bis heute spürbar sind. Proteste sind wichtig, und ein Sieg ist ein Bonus, aber es ist entscheidend, inmitten der kombinierten Hegemonie von Staat, Kapitalismus und Neoliberalismus ein politisches Bewusstsein im Alltag aufzubauen. Wir sollten basisdemokratische Alternativen schaffen, auch wenn sie zunächst noch klein sind, und sie auf viele Bereiche ausweiten, um den Menschen die Freiheit und Gerechtigkeit zu geben, die sie täglich brauchen. Politik zu machen bedeutet mehr als nur spontane Proteste zu organisieren; es bedeutet, echte Alltagsprobleme anzugehen und politische Organe für die Bewegung zu entwickeln, die über die bloße Stärkung der Hilfsempfänger hinausgehen.
Ziviler Ungehorsam kann ein mächtiges Instrument sein, um Gleichheit zu erreichen und den Sieg zu signalisieren. Die Arbeiter*innenklasse, die Jugend und andere zivile Gruppen haben das Recht auf Selbstbestimmung. Wir streben nicht nur eine Umverteilung der Armut an, sondern auch keine Rückkehr zu alten kolonialen, kapitalistischen oder neoliberalen Gesetzen. Stattdessen nutzen wir zivilen Ungehorsam, um durch Bildung, Interessenvertretung, direkte Aktionen und Solidarität zivile und politische Macht aufzubauen. Aktionen zivilen Ungehorsams zeigen, dass Widerstand und Alternativen möglich sind, selbst wenn wir mit repressiven Gesetzen, erstickendem Kapitalismus und zügellosem Neoliberalismus konfrontiert sind.
Wer kann das Feuer löschen, wenn es einmal ausgebrochen ist? Dieses Regime hat von Anfang an mit dem Feuer gespielt. Sie können den Demonstrierenden so viel Schuld geben, wie sie wollen, aber sie können nicht dem Feuer die Schuld geben. Ich möchte, dass wir wütend bleiben, und ich möchte, dass der Staat erneut in Panik gerät. Wir sehen uns bei der nächsten Demonstration, und bei der nächsten, und bei der nächsten. Lang lebe der Widerstand, lang lebe die Solidarität!
Eine Demonstration in Bandung am 22. August 2024.
Anhang: Demonstrationen in Indonesien
Mit freundlicher Genehmigung von M. folgt hier eine kurze Zusammenfassung der Demonstrationen, die vom 22. bis 27. August auf verschiedenen großen Inseln Indonesiens stattfanden.
Java
Jakarta: Am 22. August 2024 versammelten sich Tausende von Demonstrant*innen vor dem indonesischen Parlament (DPR RI), was den Einsatz von 3200 Sicherheitskräften erforderlich machte. Ähnliche Demonstrationen fanden vor dem Verfassungsgericht statt. Gleichzeitig zog auch die 828. Aksi Kamisan1 vor dem Präsidentenpalast eine große Menschenmenge an. Die Demonstrierenden trugen eine Nachbildung einer Guillotine als Symbol des Widerstands gegen die Monarchie. Am Nachmittag, um 14:20 Uhr westindonesischer Zeit, zerstörten Demonstrant*innen das rechte Tor des DPR RI-Gebäudes. Der DPR-Abgeordnete Habiburokhman wurde von einer geworfenen Flasche getroffen. Die Proteste dauerten bis in den Abend hinein an, wobei die Polizei Schläge, Tränengas und Wasserwerfer einsetzte, um die Menge zu zerstreuen. Journalist*innen wurden angegriffen, weil sie versuchten, über die Angriffe der Polizei zu berichten, und wurden gezwungen, ihr Filmmaterial zu löschen.
Bandung: Um 17:30 Uhr zerstörten Demonstrierende den Zaun um das Gebäude des Regionalparlaments von Westjava (DPRD), was zu Zusammenstößen führte. Geheimdienstagenten griffen einen Journalisten an, während ein Student durch einen von der Polizei geworfenen Stein ein Auge verlor.
Tasikmalaya: Im Rahmen der Proteste wurden mehrere Einrichtungen im Gebäude des Regionalparlaments von Tasikmalaya in Brand gesetzt.
Bogor: Bei Tugu Kujang kam es zu Protesten.
Cirebon: Bei der Demonstration vor dem Gebäude des Regionalparlaments von Cirebon wurden ein Student und ein Polizist verletzt.
Yogyakarta: Tausende versammelten sich auf dem Parkplatz Abu Bakar Ali, demonstrieren zum Nullkilometerpunkt und endeten vor dem Gebäude der Regionalversammlung (DPRD) der Sonderregion Yogyakarta.
Semarang: Die Proteste vor dem Gebäude der Regionalverwaltung von Zentraljava eskalierten, als Demonstrierende gewaltsam vordrangen und dabei fast den Zaun zum Einsturz brachten. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen, wobei 26 Menschen verletzt wurden, von denen 18 im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die Proteste dauerten bis zum 26. August 2024 an, als der Zaun um das Rathaus von Semarang durchbrochen wurde.
Surabaya: Vor dem Tugu Pahlawan fanden Demonstrationen statt.
Solo: Vor dem Rathaus kam es zu Protesten.
Malang: Tausende protestierten rund um den Bundaran Tugu Malang.
Sumatra
Padang: Vor dem Gebäude der Regionalvertretung von West-Sumatra kam es zu Protesten.
Bukittinggi: Am 23. August 2024 protestierten Hunderte bei starkem Regen vor dem Gebäude der Regionalversammlung von Bukittinggi.
Lampung: An den Protesten in der Nacht des 21. August nahmen Teilnehmer*innen in Kostümen aus der Serie Haus des Geldes teil. Süd-Sumatra: Die Demonstrierenden in Simpang Lima trugen Masken von Politikern wie Joko Widodo, Bahlil Lahadalia, Yusril Ihza Mahendra, Prabowo Subianto und Bobby Nasution. Bei ihrer Demonstration stellten sie einen Sarg auf.
Jambi: Tausende Studierende laufen von Simpang Bank Indonesia zum Parlamentsgebäude in Telanai. Die Demonstration eskalierte, als die Polizei mit Gewalt vorging, wodurch drei Menschen das Bewusstsein verloren und vier weitere verletzt wurden.
Aceh: Proteste vor dem DPRK in Lhokseumawe führten zu Zusammenstößen zwischen Tausenden von Studierenden und Sicherheitskräften. Eine ähnliche Protestaktion fand vor dem Repräsentantenhaus von Aceh in Banda Aceh statt und endete mit Gewalt und fünf Festnahmen.
Bengkulu: Als Reaktion auf die Proteste griff das Sicherheitspersonal des DPRD Student*innen an, um die Menge zu zerstreuen.
Sulawesi
Makassar: Tausende protestierten gegen die Verabschiedung des Regionalwahlgesetzes (RUU Pilkada), wobei einige Reifen brannten. Die Proteste wurden aufgelöst, als First Lady Iriana Joko Widodo vorbeikommen sollte.
Kendari: Tausende Studierende und Journalist*innen protestierten vor dem Gebäude der Regionalvertretung von Südost-Sulawesi.
Palu: Am 23. August 2024 kam es zu Protesten vor dem Gebäude der Regionalvertretung von Zentral-Sulawesi.
Nusa Tenggara
Kupang: Vor dem Büro der NTT KPU (Nusa Tenggara Timur Komisi Pemilihan Umum, die allgemeine Wahlkommission der Provinz Ost-Nusa Tenggara, deren Hauptstadt Kupang ist) fand eine Sitzblockade statt.
Mataram: Die Proteste vor dem Gebäude der Regionalversammlung von West-Nusa Tenggara eskalierten, nachdem die Polizei versuchte, die Menge mit Tränengas und Wasserwerfern zu zerstreuen.
Denpasar (Bali): Am 23. August 2024 nahmen Studierende verschiedener Universitäten, öffentliche Studentenorganisationen, NGOs, LBH Bali (Lembaga Bantuan Hukum, Institut für Rechtshilfe – eine Organisation, die Menschen in Not kostenlosen Rechtsbeistand leistet) und andere an einer Protestaktion teil.
Maluku und Papua
Ambon: Die Protestaktion endete gewaltsam mit zerbrochenen Fenstern im DPRD-Gebäude, nachdem die Forderung der Aliansi Mahasiswa Pattimura (Studentenallianz der Pattimura-Universität in Ambon City, Provinz Maluku) nach einem Treffen mit Mitgliedern der Koalitionspartei aufgrund deren Abwesenheit abgelehnt worden war.
Manokwari: Vor dem Gebäude der DPRD von Papua Barat fanden Proteste statt.
Sorong: Im Taman Sorong Park fand eine stille Protestaktion statt.
Kalimantan
Banjarmasin: Tausende Studierende verschiedener Hochschulen besetzten das Gebäude der Regionalvertretung von Südkalimantan.
Samarinda: Tausende protestierten vor dem Gebäude der Regionalversammlung von Ostkalimantan und forderten die Aufhebung des Gesetzesentwurfs zu den Regionalwahlen sowie die rasche Verabschiedung des Gesetzesentwurfs zur Vermögensbeschlagnahme.
Balikpapan: Die Proteste vor dem Gebäude der Regionalversammlung von Balikpapan eskalierten und es kam zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Studenten und der Polizei.
Pontianak: Studierende nahmen an einer Notfall-Demokratieaktion im DPRD von Westkalimantan teil.
Palangkaraya: Hunderte von Student*innen protestierten, doch die Aktion endete im Chaos, nachdem die Forderung nach einem Treffen mit dem Vorsitzenden des DPRD von Zentralkalimantan nicht erfüllt wurde. Die Menge lehnte die Bedingung ab, dass nur Vertreter das DPR-Gebäude betreten durften, um ihre Forderungen zu äußern.
Auch nach dem 22. August 2024 demonstrierten die Menschen in vielen Städten weiter.
Übersetzung aus Indonesien: Anarchistische Stimmen aus den Aufständen, 2025 im Immergrün Verlag erschienen.
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Die Aksi Kamisan (»Kamisan-Proteste«) sind wöchentliche Proteste in Jakarta, die von den Familien der Opfer der Semanggi-Tragödie initiiert wurden, bei der Ende 1998 Aktivist*innen an der Kreuzung Semanggi in Jakarta erschossen wurden. Seit 2007 stehen die Familien und ihre Unterstützer*innen jeden Donnerstagnachmittag mit schwarzen Regenschirmen, in schwarzer Kleidung und mit Transparenten und Fotos der Opfer vor dem indonesischen Präsidentenpalast, um zu protestieren. Dieser Protest hat sich auf viele Städte in Indonesien ausgeweitet und findet seit 2013 auch in Bandung statt. Die Semanggi-Tragödie ereignete sich unter der Herrschaft von Prabowo Subianto, einem ehemaligen General der Neuen Ordnung; nun haben Prabowo und Gibran, der Sohn von Jokowi, die Wahl 2024 gewonnen. Die Demonstrierenden der Aksi Kamisan machen auf ungelöste Menschenrechtsverletzungen aus verschiedenen Zeiträumen aufmerksam, darunter die antikommunistische Säuberungsaktion von 1965–66 und die Unruhen von 1998, wegen denen Prabowo einst vor Gericht gestellt, aber nicht für schuldig befunden wurde. Aksi Kamisan wurde tatsächlich von der Bewegung der Mütter der zwischen 1976 und 1983 in Argentinien verschwunden gelassenen Personen inspiriert, die auf der Plaza de Mayo gegenüber der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast in Buenos Aires, Argentinien, mit Tüchern mit den Namen ihrer verschwundenen Familienmitglieder protestierten. ↩